Der griechische Oppositionschef Alexis Tsipras aus den Reihen des Bündnisses der Radikalen Linken (SYRIZA) will seine Beziehungen zu hochrangigen Politikern in Europa festigen. Eine Gelegenheit dazu erhielt er am Samstag im Rahmen des jährlichen Kongresses der Ambrosetti-Stiftung am Comer-See. In einer Rede schätzte Tsipras ein, dass „das Griechenland-Programm der Troika gescheitert" sei. Außerdem würden die Einnahmen der von der Regierung eingeleiteten Privatisierungen die Grenze von neun Milliarden Euro nicht überschreiten. Das Bruttoinlandprodukt habe einen Rückgang von 25 %, zudem seien die Staatsschulden auf 175 % angestiegen, so der Linkspolitiker.
„Pro-Europäer" – und
„Anti-Europäerin"
Der SYRIZA-Chef erinnerte außerdem an
die enorm hohe Arbeitslosigkeit von 28 % in seinem Land. Er
wiederholte den pro-europäischen Kurs seiner Partei und urteilte,
dass es viele Perspektiven innerhalb der EU gäbe, aber nicht
innerhalb des „Troika-Rahmens". Die Troika aus Europäischer
Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem
Währungsfonds bezeichnete er – wohl in Anspielung an das
griechische Wort Katastrophe – wiederholt als „Katastroika" und
erklärte, dass sie mit ihrer Aufgabe, Griechenland aus der Krise zu
retten, gescheitert sei.
Ähnlich äußerte sich Tsipras am Wochenende auch im Rahmen eines
Interviews gegenüber der Zeitung „La Stampa". Er sprach davon, dass
sich die Krise in den vergangenen fünf Jahren strenger Sparpolitik
multipliziert habe und dass jetzt eine weltweite Rezession drohe.
Die Krise müsse weiterhin als ein politisches Problem gelöst werden
und „nicht als ein Problem Griechenlands, Italiens oder
Spaniens".
In einem Fernsehinterview bezeichnete er die deutsche
Bundeskanzlerin Angela Merkel als eine „echte
Anti-Europäerin".
Ministerpräsident in spe
Im Rahmen seines Italien-Besuches hatte Tsipras nicht nur die
Gelegenheit, seine Ansichten der Öffentlichkeit vorzustellen, er
hatte auch zahlreiche Begegnungen mit hochrangigen Politikern
Europas. Aus den Reihen von SYRIZA wurde die Einladung für Tsipras,
an der Veranstaltung am Comer-See teilzunehmen, dahingehend
interpretiert, dass man ihn bereits als künftigen
Ministerpräsidenten Griechenlands betrachte. Der SYRIZA-Chef
versucht seit längerem vorverlegte Parlamentswahlen durchzusetzen.
Beobachter schließen nicht aus, dass es in den kommenden Monaten zu
einem Urnengang kommen könnte. Sollte dies tatsächlich geschehen,
hätte Tsipras keine schlechten Chancen, das Steuer in Griechenland
zu übernehmen. Seine Partei genießt in Meinungsumfragen größere
Popularität als die konservative ND von Ministerpräsident Samaras.
In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Alco, die
zwischen dem 1. und dem 3. September durchgeführt worden ist, haben
25,5 % der Befragten angegeben, dass sie im Falle von
Parlamentswahlen für SYRIZA stimmen würden. Der ND würden lediglich
21,7 % ihr Votum geben. Es folgen die faschistische Chryssi Avgi
(7,3), die kommunistische KKE (4,6 %) der kleinere
Regierungspartner PASOK (4,3 %), To Potami (3,7 %) und die
unabhängigen Griechen (3,5 %).
Text: Elisa Hübel, Foto: Eurokinissi