Zahlreiche Protestaktionen
Kurz nach Bekanntgabe dieser Entscheidung strömten große
Menschenmassen vor der ERT-Zentrale im Athener Vorort Agia
Paraskevi. Daran beteiligten sich nicht nur die bisherigen
Angestellten, sondern auch andere Bürger aus unterschiedlichen
gesellschaftlichen Schichten. Journalisten der anderen Medien
bekundeten spontan ihre Solidarität und riefen zum Streik auf, der
teilweise auch am heutigen Mittwoch fortgesetzt wird. Dadurch war
ERT am Dienstagabend der einzige Fernsehsender, der noch planmäßig
eine Nachrichtensendung ausstrahlte. Solidaritätskundgebungen
fanden nicht nur in Athen, sondern auch in anderen Landesteilen,
darunter Thessaloniki, Patras und auf Kreta statt. Diese
Protestwelle soll heute fortgesetzt werden. Um 11.00 Uhr fand eine
Demonstration vor der Athener ERT-Zentrale statt. Die Angestellten
selbst besetzten das Gebäude.
„Magazin ohne Leser"
Wie Regierungssprecher Simos Kedikoglou erläuterte, soll eine
kleinere öffentliche Radio- und Fernsehanstalt inmitten von drei
Monaten wieder ihre Arbeit aufnehmen. Inzwischen wurde auch der
Name bekannt: NERIT (Griechischer Hörfunk, Internet und Fernsehen).
Das neue Unternehmen soll bis Ende August gegründet werden. Die
Angestellten von ERT würden eine finanzielle Abfindung erhalten und
könnten sich dann beim neuen Sender um eine Stelle bewerben, sagte
der Regierungssprecher. Er bezeichnete ERT als ein „Magazin ohne
Leser". Was die griechischen Steuerzahler betrifft, so wurde ihnen
die Entscheidung der Schließung des staatlichen Fernsehens und
Rundfunks etwas versüßt: bis zur Wiedereröffnung des Unternehmens
werden keine Fernsehgebühren, die jährlich circa 50 Euro betragen,
eingezogen – dies geschieht im Normalfall über die
Stromrechnung.
„Frage der Demokratie"
Politische Beobachter sind der Ansicht, dass Ministerpräsident
Antonis Samaras mit diesem Schritt seine Entschlossenheit
demonstrieren wollte, notwendige Reformen durchzuführen.
Entsprechend den Vereinbarungen mit den internationalen Geldgebern
(„Troika") müssen bis Ende des Jahres 4.000 Staatsdiener entlassen
werden. Im Jahr 2014 sollen weitere 11.000 den öffentlichen Sektor
verlassen.
Allerdings könnte die von vielen Bürgern als drakonisch empfundene
Senderschließung zu einer Zerreißprobe für die Koalitionsregierung
werden. Die beiden Junior-Koalitionspartner, die sozialistische
PASOK und die Demokratischen Linken (DIMAR), sprachen sich noch am
Dienstagabend dagegen aus. Die vier Minister im Kabinett Samaras,
die von den beiden Linksparteien unterstützt werden, hätten eine
derartige Entscheidung nicht unterzeichnet und würden dies auch in
Zukunft nicht tun.
Vor allem die Oppositionsparteien und Gewerkschaften stellten sich
scharf gegen die Blitzentscheidung der Regierung. Alexis Tsipras,
Vorsitzender des Bündnisses der Radikalen Linken (SYRIZA),
bezeichnete die Schließung als einen „Staatsstreich". Es handele
sich um eine „Frage der Demokratie". Auch der ehemalige
Ministerpräsident Jorgos Papandreou meldete sich zu Wort. Er gab
zu, dass die ERT „neu entworfen" werden müsse, doch dafür brauche
man einen „Plan". Es ginge um wahrheitsgemäße Informationen und
letztlich auch um den Respekt gegenüber den Angestellten. Weiterhin
verwies der Sozialist, der das Land von 2009 bis 2011 regierte
hatte, dass ERT unter seiner Regierung zum ersten Mal profitabel
gestaltet worden sei. Kritik an der Schließung des staatlichen
Medienunternehmens äußerte selbst der Erzbischof von Athen und ganz
Griechenland, Hieronymus. Das orthodoxe Kirchenoberhaupt sprach von
einer unbegreiflichen Entscheidung. ERT sei „seit Jahren eine
Stimme der Information, der Kultur und des Griechentums in seiner
Gesamtheit".
Unterstützung aus dem Ausland
Gegen die Schließungsentscheidung stellte sich auch die Europäische
Rundfunkunion (EBU). EBU-Präsident Jean-Paul Philippot und die
Generaldirektorin Ingrid Deltenre forderten Ministerpräsident
Samaras dazu auf, „diese Entscheidung zu annullieren".
Zusammen mit den ERT-Sendern wurden am Dienstagabend auch die
Sender RIK (staatliches zypriotisches Fernsehen), BBC und die
Deutsche Welle sowie der Sender des griechischen Parlaments (Vouli)
nicht mehr ausgestrahlt; diese Aufgabe hatte bisher das Unternehmen
ERT erledigt. Die Sendungen von ERT selbst sind aber nach wie vor
im Internet sowie zum Teil auch auf anderen Fernsehsendern zu
verfolgen, da sie von den Angestellten weiterhin produziert
werden.
Griechenland Zeitung. Text: Elisa Hübel, Foto:
Eurokinissi