Die „chaotische“ Flüchtlingssituation von 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Das sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer am vergangenen Freitag in Athen. Er und sein französischer Amtskollege Christophe Castaner waren nach Griechenland und zuvor in die Türkei gereist, um den Flüchtlingspakt zwischen der EU und Ankara zu stärken.
In der griechischen Hauptstadt berieten sie sich unter anderem mit dem griechischen Bürgerschutzminister Michalis Chryssochoidis und dem EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos, der für Migration, Inneres und Bürgerschaft zuständig ist.
Das Medieninteresse am Besuch der Politik war beachtlich. Im Hochhaus des griechischen Ministeriums für Bürgerschutz drängten sich die Reporter. Deutsche, französische und – natürlich – griechische Sprachfetzen waren zu hören bis mit einiger Verspätung die Pressekonferenz am späten Nachmittag beginnen konnte. Die Anstrengungen seiner Dienstreise waren Seehofer sichtlich anzusehen: Er sah sichtlich müde und abgekämpft aus. In seinem Statement betonte der deutsche Politiker, wie wichtig das Thema Flüchtlinge für den gesamteuropäischen Raum sei. Mit der neuen EU-Kommission, die am 1. November unter Leitung von Ursula von der Leyen antritt, würden entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
Zur Bewältigung der Flüchtlingsströme bot Seehofer der griechischen Regierung umfangreiche Hilfe an: „im Bereich Grenzschutz, Informationstechnik und Personal“. Zusätzliche Beamte könnten zum Beispiel für die schnellere Bearbeitung von Asylgesuchen eingesetzt werden. Griechischen Regierungskreisen zufolge stehen derzeit landesweit 70.000 Asylverfahren aus. Es sei aber auch in Deutschlands Interesse das Thema anzupacken, so Seehofer. „Wenn wir Griechen und Türken helfen, ist das solidarisch gegenüber euch, aber es hilft auch uns“, sagte er gegenüber den Journalisten. Schließlich sei „niemand in Europa nicht von den Asylsuchenden betroffen“. Seehofer fügte hinzu, dass er für die Umsetzung seiner Ziele „die volle Unterstützung der deutschen Bundeskanzlerin“ habe.
Seit März 2016 besteht ein Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei, welches nun auf der Kippe steht. Es besagt, dass Migranten, die über die Ägäis kommen und keinen Anspruch auf Asyl haben, von den griechischen Inseln zurück in die Türkei geschickt werden können. Für Flüchtlinge, die das griechische Festland erreichen, trifft dies ausdrücklich nicht zu. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos kündigte nach den Arbeitsgesprächen eine „politische Initiative“ der Europäischen Union zum Ausbau des Abkommens an. Der griechische EU-Politiker betonte, dass man Hellas dabei nicht alleine lassen werde.
Ähnlich beschrieb der anwesende Bürgerschutzminister Griechenlands, Michalis Chryssochoidis, die europäische Situation: „Wir sind alle Franzosen, wenn Frankreich leidet, wir sind alle Deutsche, wenn etwas in München oder Berlin passiert.“ Und er sei erleichtert, dass man sich darauf verständigen konnte, dass in der Flüchtlingsfrage alle Griechen seien, so seine diplomatische Formulierung. Er verwies darauf, dass die Lage auf den griechischen Inseln mehr als äußerst angespannt sei. „Wenn wir nicht aktiv werden, dann wird Moria ganz Europa stigmatisieren“, stellte Chryssochoidis fest.
Im Auffanglager Moria auf der Insel Lesbos war es erst am 29. September wieder zu einem tragischen Todesfall gekommen. Durch ein im Lager ausgebrochenes Feuer hatte eine Frau ihr Leben verloren. Moria ist für maximal 3.000 Bewohner konzipiert; derzeit leben dort mindestens viermal so viele Menschen.
Vanessa Polednia