Die Krise in Griechenland ist bei weitem noch nicht überwunden: Es gärt kräftig weiter. Sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen als auch im politischen Bereich. Sinnbildlich für letzteren steht der desolate Zustand bei der großen Oppositionspartei Nea Dimokratia. Dort liegen die Nerven nach dem Fiasko der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden am Sonntag blank, selbst eine Spaltung ist nicht gänzlich auszuschließen. Angesichts dieses Zustandes bei der Opposition – die kleineren Parteien haben im Moment kaum Gewicht – könnte man meinen, Regierungschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) hat leichtes Spiel. Doch dem ist nicht so.
Im Parlament hat er nach der Verabschiedung des jüngsten Sparpakets nur noch eine schwache Mehrheit von drei Mandaten. Ob damit die nächsten Hürden genommen werden kann, ist keinesfalls sicher. Und die Latten liegen hoch. Zunächst muss der Haushalt für 2016 über den Berg. Der Entwurf wurde in der vorigen Woche dem Parlament übergeben und soll Mitte Dezember abgesegnet werden. Eine schwierige Hürde ist auch ein Gesetz, das weitere einschneidende Änderungen im System der Sozial- und Rentenversicherung nach sich ziehen soll. Außerdem sollen die Gehälter für den staatlichen Sektor neu geregelt werden, und – ebenfalls ein schwerer Brocken – die Landwirte sollen höhere Steuern zahlen, wahrscheinlich sogar die Fischer. Im Bewusstsein, dass er sich nach weiteren Unterstützern umsehen muss, wandte sich der Regierungschef am Freitag an Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. Ihn bat er um Unterstützung für ein breites Einvernehmen der politischen Kräfte des Landes in wichtigen Fragen. Er nannte zunächst nationale Themen wie die Lösung des Zypernproblems, die griechisch-türkischen Beziehungen und die Namensfrage für die Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM), die seit Anfang der 90er Jahre schwelt und die Beziehungen beider Länder belastet. Tsipras brachte aber auch andere Probleme ins Gespräch wie die Flüchtlingswelle, notwendige weitere Veränderungen im System der Sozial- und Rentenversicherung oder im Bildungssektor. Präsident Pavlopoulos sagte seine Unterstützung zu, dies gebiete sein Amt. Der Linkspolitiker, der bisher alles andere als bereit war, mit den „Parteien des Establishments“ zusammen zu arbeiten, hat offenbar den Ernst der Stunde erkannt. Doch während er im Sommer noch gute Chancen gehabt hätte, einen Konsens mit der Opposition zu finden, stehen die Zeichen nun anders. Kleinere Parteien wie die sozialistische PASOK, die liberale To Potami und die Zentrumsunion schlossen eine direkte oder indirekte Unterstützung der Regierung aus. Und, Kuriosum: Die Einberufung des Rates der Parteiführer wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohnehin nicht möglich, weil die große Opposition (ND) noch keinen neuen Chef wählen konnte. (GZjh)
Unser Foto (© Eurokinissi) zeigt Premier Alexis Tsipras (l.) bei seinem Treffen mit Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos am vorigen Freitag.