Die Melodie des Rembetiko-Hits „Ich will eine Prinzessin“ hat eine lange Geschichte. Bekannt wurde sie 1936 durch Panagiotis Tountas. Doch seine Anfänge gehen zurück auf das Jahr 1910. Der Musikwissenschaftler und Pianist Nikos Ordoulidis vom Eastern Piano Project verfolgte die Reise dieser nomadisierenden Melodie – mit Stationen in Amerika, Osteuropa und auf dem Balkan.
Er hatte zweifellos ein Händchen für Ohrwürmer, mit denen er seine Kompositionen anreicherte: Panagiotis Tountas, 1868 im kleinasiatischen Smyrna geboren und 1942 gestorben in Athen. Tountas hatte in Ägypten Musik studiert und lebte bis 1921 in Äthiopien. 1924 bis 1941 arbeitete er in Griechenland bei den Schallplattengesellschaften Odeon, British Columbia und His Master’s Voice.
Eine wahre Liebesgeschichte
Sein Erfolg über den Wunsch nach einer Prinzessin beruht auf einer wahren Begebenheit: 1936 verfolgten Tountas sowie die griechische Gesellschaft der damaligen Zeit in den Medien das Abenteuer zwischen der Tochter des irakischen Königs, Prinzessin Azzah Faisal, und einem griechischen Hotelangestellten syrischer Abstammung. Die Romanze begann 1935 während des Urlaubs der blaublütigen Azzah auf Rhodos. Das Paar brannte dann 1936 durch und heiratete heimlich. Erbschafts- und Geldangelegenheiten im Zusammenhang mit irakischen Ölquellen führten schließlich zum Ende der Ehe. Tountas fühlte sich von dieser Liaison inspiriert und entdeckte für sich eine jüdische Klezmer-Melodie des litauischen Stupels Vilna Orchestra, das sie als Schlussteil des „Karaite Medley“ spielte. Mit Hilfe dieser Noten kreierte Tountas seinen Hit. Passt irgendwie, denn das Klezmer-Repertoire besteht oft aus Musik, die Hochzeiten begleitete. Bemerkenswert ist, dass Mitglieder der jüdischen Minderheit der Karaiten, die das Karaite-Medley spielten, ihren Ursprung – wie Prinzessin Azzah – im Irak haben. Fehlen durfte im Song von Tountas natürlich nicht die Halbwelt von Piräus: Haschisch, Leidenschaft, Derwisch-Tänze und Baglamas, das verruchte Instrument der sogenannten Rembetes, der Rembetiko-Interpreten.
Der Songtext (Übersetzung und Redaktion: A. Tsingas)
ICH WILL EINE PRINZESSIN
In Griechenland find ich keine Frau,
schöne Frauen sind nicht rar, sind aber, ach Mütterchen, so bettelarm.
Ich will ’ne Prinzessin direkt aus Marokko,
Goldpfund muss sie haben zuhauf, ein Prachtweib eben.
Letztes Jahr war sie hier auf der Suche nach ’nem Bräutigam,
und ich wusste davon nichts – ach Mütterchen, was hab’ ich dich doch gern.
In Piräus hat sie mich gesehen, bei Tzelepis* mit meiner Clique
und seither liebt sie mich, schickt mir sogar Geld.
Zum König will sie mich machen da drüben in Arabien,
und alles, was sie hat, wird auch meins sein, ach Mütterchen, was hab‘ ich dich doch gern.
Achtzehn Waggons voller Goldpfund, Koks und Haschisch,
jede Art von Wasserpfeife, dick vergoldet und mit Diamanten.
Kaufen wird sie mir ‘nen Baglamas, versilbert und mit Elfenbein verziert
und alles, was ich sonst noch will – ach Mütterchen, was hab’ ich dich doch gern.
Fünfhundert Derwische werden die Sisha-Kohle anzünden,
einnebeln werden wir uns in unsrem goldnen Wohnzimmer.
Ich will ’ne Prinzessin direkt aus Marokko,
Goldpfund muss sie haben zuhauf, ein Prachtweib eben.
*Tzelepis: angesagter Treff in Piräus
Der Song auf Griechisch: https://www.youtube.com/watch?v=-rryjLwV7wo
Etikett der Schellackplatte © Kounadis Archive Virtual Museum – Nikos Ordoulidis
Serbien, Ukraine und Rumänien
Die Prinzessin-Melodie bzw. Teile davon tauchen aber schon lange vor dem Tountas-Hit auf. Ende der 1920er Jahre zum Beispiel. „Moja mati cilim tka“ (Meine Mutter webt einen Kelim; Columbia, 1927) lautet der Titel der serbischen Bearbeitung. Aufgenommen wurde sie 1929 mit einem „Zigeuner“-Orchester in Zagreb. Das Lied ist in Serbien sehr beliebt, wurde in den 1920er Jahren als Notensatz gedruckt und mehrmals bearbeitet.
Weitere Variationen der ursprünglichen Klezmer-Melodie findet man dann bei einem Potpurri des ukrainischen Orchesters von Dymytro Kornienko. Letzterer nahm 1929 in New York die Sammlung „Rumunka Kolomyjka“ (Румунка коломийка) auf, die unsere Prinzessin-Melodie beinhaltet. Bei rumänischen Interpretationen treffen wir auf sie gleich zwei Mal: Grigoraș Dinicu geigt unsere Weise auf einer Aufnahme der Grammophone (Bukarest 1939), die danach ausschließlich in den USA veröffentlicht wurde. Aufgegriffen wurde sie auch in einem Lied, gesungen 1945 von Ioana Radu, auf Electrecord.
Spur nach New York
Der Musikforscher Tony Klein stöberte die „Prinzessin“ schließlich auch in „Gib mir Bessarabia“ auf (Columbia, New York 1946). Interpret bei dieser Variante ist Aaron Lebedeff, der vom Orchester Sholom Secunda begleitet wird. Lebedeff wurde 1873 in Gomel im heutigen Weißrussland und Secunda 1894 in Alexandria (Oleksandrija), in der heutigen Ukraine, geboren. Beide Regionen waren damals Teil des Russischen Reiches. Sowohl Lebedeff als auch Secunda waren Juden. Secunda wanderte 1907 im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie in die USA aus, da es in Russland immer wieder zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kam. Der Text von „Gib mir Bessarabia“ ist in Jiddisch verfasst – ein Dialekt, der hauptsächlich von den aschkenasischen Juden gesprochen wird.
Rückkehr nach Griechenland
Die bekannte griechische Sängerin Charis Alexiou nahm schließlich 1975 ein Lied von Vassilis Vassiliadis, der den Ruf eines „berüchtigten Diebes von Rembetiko-Liedern“ hatte, auf. Der süße Bouzouki-Schlager von Alexiou trägt den Titel „Πως το λένε“ (Poss to lene/Wie heißt es nur) und verwendet dieselbe Melodie wie Tountas bei seiner „Prinzessin“.
Die vorläufig letzte Station der vagabundierenden Melodie stammt von den field-recordings des Alberto Nar. Letzterer nahm in den 1990er Jahren mit seinem Tonband ältere griechische Juden auf, die in Thessaloniki lebten. Die nordgriechische Metropole bezeichnete man wegen ihrer zahlreichen jüdischen Bevölkerung vor dem Zweiten Weltkrieg auch als „Jerusalem des Balkans“. Das Lied trägt hier den Tiel „Decidi de me kazar“ (Ich habe mich entschlossen zu heiraten). Der Text von Moshe Kazes wurde in Ladino, der jüdisch-spanischen Sprache, die von den sephardischen Juden des Osmanischen Reiches gesprochen wurde, verfasst. Kazes schreibt die verwendete Melodie dem Komponisten Panagiotis Tountas zu.
Nars Musiksammlung als dreisprachiges Buch mit CD: „I remember/Θυμάμαι“
Melodie auf Wanderschaft
Zweifelsohne werden auch in Zukunft weitere Aufnahmen auftauchen, die diese charakteristische Melodie der Prinzessin verwenden werden. Wer sich in die einzelnen Arrangements der letzten 100 Jahre hineinfühlt, hört die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten heraus und versteht, warum Musiker aus Litauen, Serbien, der Ukraine, der Slowakei, Griechenland, Ungarn und Rumänien dazu ermuntert wurden, diese Melodie in ihr jeweils lokales Repertoire aufzunehmen und zu „verwerten“. Die Weltoffenheit, die Grenzenlosigkeit von Musik fasst Nikos Ordoulidis in einer persönlichen Mitteilung an den Autor folgendermaßen zusammen: „Die Prinzessin ist ein hervorragendes Beispiel für wandernde Melodien, die in unterschiedlichen Versionen in verschiedenen Gebieten, Epochen und Kontexten im 20. Jahrhundert auftauchten. Die Diskografie verdeutlicht das Beziehungsgeflecht verschiedener ethnischer Repertoires sowie die Aneignung der Melodie und ihre Veränderung seitens der Musiker.“
An all den Verarbeitungen, insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wird für den Musikwissenschaftler deutlich, dass das Repertoire, auch durch die neuen technischen Mittel der damaligen Zeit, „entterritorialisiert“ wird, sich mit anderen vermengt und somit überregionale Eigenschaften annimmt. Einer der erfolgreichsten „Verwerter“ war auf jeden Fall der Komponist Panagiotis Tountas mit seinem Hit „Ich will eine Prinzessin“.
Professor Nikos Ordoulidis ist Musikwissenschaftler an der Universität Ioannina. Er leitet das Eastern Piano Project (www.eastern-piano.com) und sucht nach Wegen, um die Volksmusik Osteuropas, des Balkans und des Mittelmeerraums neu zu deuten. Ordoulidis hat auch „Die Prinzessin“ auf dem Piano neu interpretiert: https://www.youtube.com/watch?v=jUAx6byrwKw
(© Griechenland Zeitung / Simon Steiner)