Die 69. Berlinale (7.-17.2.2019) stand eindeutig im Zeichen von Kosslicks Abschied. Der ebenso weltläufige wie volksnahe Schwabe hat in den letzten 18 Jahren dem neben Cannes und Venedig wichtigsten Filmfestival der Welt nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt.
Unter seiner Leitung hat sich die Zahl der Berlinale-Besucher mehr als verdoppelt, auf fast 350.000, wodurch die Filmfestspiele an der Spree zum größten Publikumsfestival der Welt avancierten. Kosslick hat das Festival unter dem Motto „Berlinale goes Kiez“ in die entlegensten Stadtteile der deutschen Hauptstadt getragen und sie so zum Filmfest aller Berlinerinnen und Berliner gemacht. Darüber hinaus hat er das politische Profil des Festivals geschärft und die Berlinale zu einem unüberhörbaren Sprachrohr gegen jede Form von Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Zensur entwickelt.
Auch dem älteren und dem jüngeren, insbesondere um eine originelle und mutige künstlerische Antwort auf die umfassende Krise der letzten Jahre bemühten griechischen Filmschaffen bot die Berlinale in der Kosslick-Ära immer wieder eine Präsentationsplattform. 50 griechische Produktionen und Koproduktionen, darunter sieben im prestigeträchtigen Internationalen Wettbewerb, reüssierten in den letzten 18 Jahren in den verschiedenen Sektionen der Berlinale – eine für ein kleines Filmland wie Griechenland durchaus bemerkenswerte Zahl. Mit Kosslick als Festivalchef feierten etwa die letzten beiden Werke des großen Filmpoeten Theo Angelopoulos – „Die Erde weint“ (2004), „Der Staub der Zeit“ (2009) – auf der Berlinale ihre Welturaufführung. Unvergessen bleibt die Rede, die Kosslick im Februar 2012 zum Andenken an den kurz zuvor verstorbenen Angelopoulos hielt. Dabei würdigte er nicht nur dessen unschätzbaren Beitrag zur Entwicklung der Filmkunst, sondern bezog auch dezidiert Stellung zur Finanz- und Wirtschaftskrise, die Griechenland damals im Würgegriff hielt. In seinen Augen, so Kosslick, manifestiere sich darin eine neue Form des Klassenkampfes, bei dem die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Die Rolle der Kultur, des Films, aber auch von Filmfestivals wie der Berlinale müsse es demgegenüber sein, den Respekt und die Anerkennung der Differenz zu akzentuieren und zur gegenseitigen Toleranz beizutragen. Es sei, so Kosslick am Ende seiner Rede, ein herber Verlust, dass Theo Angelopoulos, einer der herausragenden Vertreter des europäischen Autorenkinos, nun nicht mehr unter uns weilt, um diesen Kampf gemeinsam mit uns fortzusetzen. Freilich war Angelopoulos beileibe nicht Kosslicks einziger „Kampfgefährte“ aus Griechenland oder mit griechischem Hintergrund. Auch Regisseure wie Constantinos Giannaris, Panos Koutras, Thanos Anastopoulos und Yannis Economides, die sich in ihren Filmen, wenn auch auf je unterschiedliche Weise, mit der Situation von ethnischen und sexuellen Minderheiten befassen und den Blick auf gesellschaftlichen Außenseiter lenken, gehörten unter Kosslicks Ägide zu den Gästen der Berlinale. Überdies wurde 2008 der Altmeister des Polit-Thrillers Konstantinos Gavras zum Präsidenten, 2013 die Regisseurin Athina Rachel Tsangari zum Mitglied der Internationalen Jury berufen. Bereits 2006, auf Kosslicks fünfter Berlinale, lief schließlich „Kinetta“, das Langfilmdebüt eines gewissen Yorgos Lanthimos. Desselben Yorgos Lanthimos, der am kommenden Sonntag im fernen Los Angeles mit seinem Erfolgsfilm The Favourite nach sage und schreibe zehn Oscars greift!
Von Theo Votsos