Wenn wir in Griechenland ins Dorf (Chorió – das o offen wie in Mord) fahren, bedeutet das nicht nur so viel wie „Wir fahren aufs Land", sondern oft ist damit das Dorf gemeint, in dem man entweder das väterliche Haus (patrikó spiti) hat(te), oder aber auch zumindest eine Wohnung gekauft oder – in den selteneren Fällen – angemietet hat.
Mit dem Begriff Chorió verbindet sich in allen diesen Fällen das Gefühl des Raus aus dem städtischen Verkehrschaos, frische Luft und Bewegungsfreiheit. Ein wichtiger Punkt ist auch der, am Ort in einer anderen Gesellschaft seine Lebensweisheiten und die in der Stadt gewonnenen Einsichten in einer neuen Paräa noch einmal gründlich durchzudiskutieren. Eine Terrasse oder ein Platz, an dem gegrillt werden kann, darf natürlich nicht fehlen. Die Wörter Chóra und die Verkleinerungsform Chorió sind als Platz, Raum, Ort und sogar als Landgut schon seit Homer gut belegt. Auch im Neugriechischen ist das Verb choráo täglich in aller Munde: „choráo? – gehts noch, pass ich noch rein?“ fragen Sie an der Bushaltestelle, wenn der volle Bus die Tür aufmacht und Sie unbedingt auch noch rein wollen. Wenn man Ihnen antwortet: óli í kalí choráne – „alle guten (Menschen) haben (noch) Platz“, sind Sie in guter Gesellschaft. Oder bei einem Gefäß: choráí í den choráí?: fasst es (das) noch oder fasst es (das) nicht mehr. Chóra in der Bedeutung „Land" (apo pía chora érchese? – aus welchem Land kommst du?) ist neu. Im griechischen Mittelalter war Chóra der befestigte (Rückzugs)platz vor dem Angriff der Piraten auf den Inseln der Ägäis. So heißt bis heute der Hauptort der Insel oben oder versteckt hinterm Berg oft immer noch Chóra, im Gegensatz zum „Hafen“ Skála, unten am Meer. Ein Acker, auf dem der Bauer früher seine Rösslein anspannte, ist das choráfí, heute – der Zeit gehorchend – meist als Baugrundstück in Gebrauch.
Text: Jens Rohmann