Der neue griechische Finanzminister Ioannis Varoufakis ist in Rekordzeit in der Eurozone zum Politikerschreck geworden. Was steckt hinter diesem Mann und hinter seiner Politik?
Mit offenem Hemd und Halstuch ging er nach Brüssel und versuchte, den Politikern der Eurozone die Politik der neuen griechischen Regierung zu erklären. Nur die Zigarette im Mundwinken fehlte. Dann hätte er genau das Outfit des griechischen Mangas. Natürlich fährt er Motorrad anstatt Auto; es ist ein Typ Mensch, wie ihn Griechenland gebiert: Stark, unabhängig, die Schwierigkeiten meisternd, lässig und den Autoritäten immer ein Schnippchen schlagend, aber oft auch mit einem großen Herz für diejenigen, die Zuneigung benötigen.
Was steckt in diesem Mann, der ganz Europa in Atem hält?
Varoufakis ist Ökonomieprofessor mit internationaler Erfahrung. Er hat in den USA, in Großbritannien und Australien gelehrt. Er spricht und schreibt zum Beispiel auch hervorragend Englisch. Was er sagt und schreibt, sollte man besser ernst nehmen. Das heißt nicht, dass er sich innerhalb der sehr weit links ausgerichteten Regierung durchsetzen kann. Es heißt auch nicht, dass er zwingend Erfolg haben wird. Aber er weiß, was er sagt. Und das ist bei griechischen Politikern nicht immer selbstverständlich.
Allerdings ist Varoufakis erst seit einigen Wochen in der Politik. Vor der denkwürdigen Wahl im Januar 2015 war er nicht einmal Parlamentsmitglied. Als er sagte, dass es für Griechenland sozusagen unmöglich ist, den riesigen Schuldenberg abzubauen und dass das gleiche für Italien und Spanien gälte, hat er gleich zwei wichtige Partner erzürnt. Ein erfahrener Politiker tut dies nicht. Was er aber sagte, war die schlichte Wahrheit. Der ZEIT sagte er – zitiert nach dem Blog „Never mind the markets“: „Griechenland ist unter seinen Schulden kollabiert. Wie sind wir damit umgegangen? Wir haben einem überschuldeten Staat noch mehr Kredite gegeben. Stellen sie sich vor, einer ihrer Freunde verliert seinen Job und kann seine Hypothek nicht mehr bezahlen. Würden Sie ihm einen weiteren Kredit geben, damit er die Raten für sein Haus abbezahlt? Das kann nicht funktionieren. Ich bin der Finanzminister eines bankrotten Landes!“
Griechenland ist also genauso pleite wie vor einigen Jahren. Es ist gelungen, den kompletten Zusammenbruch des Landes zu vermeiden. Aber zu einem hohen Preis: Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat das Land mit einem Einbruch von einem knappen Drittel eine Depression zu erdulden, wie sie in der Geschichte in Friedenszeiten noch nie dagewesen ist. Der Mittelstand verarmt, die Arbeiterklasse wird pauperisiert und sogar der Hunger verbreitet sich wieder.
Die Situation ist in einigen Aspekten vergleichbar mit der Situation im Deutschland der dreißiger Jahre. Aus dieser Optik muss Europa froh sein, dass die radikale Linke gewonnen hat und nicht die radikale Rechte. Mit der radikalen Linken SYRIZA kann man reden, mit der nationalsozialistischen Goldenen Morgenröte – die drittstärkste Partei im Parlament – geht das nicht.
Griechenland ist bankrott. Bankrott ist eine natürliche Person, eine Firma oder ein Land, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. Europa tut seit Jahren alles, um dieser simple Tatsache – auf Griechenland angewendet – zu leugnen. Um den Schuldenberg abzutragen, ist eine Mischung aus starkem Wachstum, tiefen Zinsen und Primärüberschüssen (Überschuss des Staatshaushaltes ohne Zinszahlungen) notwendig. Die Zahlen, die Griechenland erwirtschaften müsste, sind innerhalb einer Gemeinschaftswährung nicht realistisch.
Im Ausland wird argumentiert, dass man Griechenland durch einen Zahlungsverzicht, durch eine Erstreckung und durch tiefere Zinsen stark entgegengekommen ist. Das hat einen ungeordneten Zusammenbruch verhindert. Das versteckt die Tatsache, dass das Land seine Schulden nie wird begleichen können, ändert per se aber nichts an dieser Tatsache.
Griechenlands Schulden in Prozent der Wirtschaftsleistung betragen stolze 183 %. Berechnungen von Mc Kinsey zeigen, dass es bei gleichbleibendem Primärüberschuss ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum von 2,5 % bräuchte, damit die Schulden zu sinken beginnen. In Spanien bräuchte es ein solches von 5,5 % p.a., um mit einem Deleveraging zu beginnen – und das Land schreibt nicht mal einen Primärüberschuss (was eine notwendige Bedingung für einen Schuldenabbau ist).
Es ist einfältig, die Fiktion aufrechtzuerhalten, Griechenland wäre je in der Lage, die Schulden zurückzuzahlen. In jedem zivilisierten Staat gibt es ein Konkursrecht, das die Interessen von Schuldnern und Gläubigern gegeneinander aufwiegt. Die Gläubiger, die Griechenland Geld geliehen haben, bekamen und bekommen dafür Zinsen. Diese Zinsen sind eine Entschädigung für die Übernahme von Risiko. Dazu gehört auch das Ausfallrisiko. Wir dieses künstlich eliminiert und ein Land wie Griechenland in eine im Ergebnis brutale „Erfüllungspolitik“ treibt, verzerrt die Märkte und hilft, eine Obligationenblase zu bilden.
Was schlägt nun Varoufakis vor?
– Einen Gläubigerverzicht aus oben genannten Gründen. Das wird er nicht erreichen. Man muss aber Griechenland mit längeren Laufzeiten und tiefere Zinsen entgegenkommen. Das schmerzt die Gläubiger, sie erhalten aber die Illusion aufrecht, die Schulden würden irgendwann zurückgezahlt.
– Griechenland muss den Primärüberschuss im Staatshaushalt reduzieren. Zurzeit beträgt er gemäß Budget 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Finanzminister Varoufakis will höchstens 1,5 Prozent erwirtschaften, um wieder Spielraum in der Finanzpolitik zu bekommen.
Beides ist vernünftig.
Beide Maßnahmen würden Griechenland dann helfen, wenn es der Regierung gleichzeitig gelingt, die Steuermoral zu verbessern, Steuern einzutreiben, und Bürokratie und Korruption zu bekämpfen. Natürlich besteht eine gewisse Gefahr, dass der wieder gewonnene finanzielle Spielraum nicht klug genutzt wird. Es ist gut möglich, dass das Geld in den Konsum geleitet und nicht für produktive Investitionen verwendet wird.
Aber richtig wäre es, Griechenland diesen Spielraum zu gewähren und die Kontrolle nicht mehr an reinen Zahlen festzumachen. Es sollte vermehrt kontrolliert werden, ob tatsächlich die Bürokratie, die Korruption und die Steuerhinterziehung bekämpft wird. Das wurde bisher nicht getan. Die europäischen Partner haben zwar Griechenland vor dem Schlimmsten bewahrt – vor einem ungeordneten Zusammenbruch, der in einem Bürgerkrieg enden kann – aber es war ihnen egal, dass das Land verarmte und die Reichen und Schönen sich schadlos hielten.
Nun müssen sie sich halt mit Varoufakis herumschlagen.
Als die Einigung über die Verlängerung des Hilfsprogramms für vier Monate kommuniziert wurde, verzichtete dieser auf Dolmetscher und kommentierte sowohl auf griechisch wie auf englisch. Und der Inhalt seiner Äußerungen war
jeweils nicht ganz deckungsgleich…
Willkommen in der Welt der Politiker, Herr Minister!
Daniel Funk
Unser Foto (Eurokinissi) zeigt Varoufakis am Freitag, 6.3., nach einer Beratung mit Ministerpräsident Alexis Tsipras in dessen Amtssitz in Athen.