Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Wahlkampfversprechen und realer Tagespolitik ist in der modernen Demokratie normal – nicht nur in Griechenland, sondern überall auf der Welt. Der Spruch: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ hat bekannterweise einen deutschen Urheber – keinen griechischen.
Das Lavieren der griechischen Regierung im innen- und außenpolitischen Minenfeld, in das sie sich hineinmanövriert hat, die damit verbundenen Ungereimtheiten, Widersprüche in derart kurzer Zeit sind jedoch ein Novum: Darüber hinaus könnten sie sich als kontraproduktiv erweisen, weil sie am Ende nur Verwirrung stiften. Mit ihrem Vorgehen stößt die Regierung viele vor den Kopf – sowohl bei den internationalen Gläubigern als auch bei der parteiinternen Opposition, die Premierminister Alexis Tsipras beschwichtigen möchte.
Finanzminister Janis Varoufakis kann nicht im Ernst behaupten, dass die Einigung mit den Geldgebern über eine viermonatige Weiterführung des Spar- und Reformpakets ein mit „konstruktiver Mehrdeutigkeit“ kolorierter Text sei, der es Athen im Grunde erlaube, keine weiteren unpopulären Maßnahmen zu treffen. Zugegeben, der Text führt neue Begriffe für alte Fakten ein (man denke nur an „drei Institutionen“ anstatt „Troika“). Ansonsten ist er aber glasklar. Mit den Worten eines niederländischen Volkswirts gesagt: Es handelt sich um „einen Name-Changer und nicht um einen Game-Changer“.
Äußerst fragwürdig ist auch der Versuch von Premier Tsipras, den Deal mit den europäischen Partnern als Produkt einer internationalen, von „konservativen Kräften“ eingefädelten Erpressung darzustellen – mit dem Ziel, seine Regierung zu stürzen. Diese Lesart lässt sich dahingehend interpretieren, dass die Regierung sich selbst in einem Ausnahmezustand sieht und daher jede List als legitim erachtet.
Die Faux Pas des neuen Kabinetts sind sicherlich der Unerfahrenheit fast aller Minister geschuldet. Die Galgenfrist von 100 Tagen ist schon zu einem Drittel verbraucht. Die europäischen Partner haben zumindest einen Zeitkredit gewährt, und im Inneren steht nach wie vor ein großer Teil der Bevölkerung hinter den Strategien des neuen Teams. Am letzten der 100 Tage wird dann schon deutlicher sein, ob die neue Koalitionsregierung aus SYRIZA und ANEL die Würde der Griechen wiederhergestellt hat, wie sie es sich im Wahlkampf auf die Fahnen schrieb, oder eher das Gegenteil. Man wird sehen.
Dimos Chatzichristou
Unser Archiv-Foto (Eurokinissi) zeigt Griechenlands Finanzminister Janis Varoufakis.