Ich muss endlich einmal eine Liebesgeschichte aufzeichnen. Sie ist alt, dauert jedoch immer noch an. Und ich vermute, es ist eine Liebe auf ewig. Es ist keine Beziehung zwischen Mann und Frau oder anderer Konstellationen. Es ist eine Liebe von mir zu Häusern. Präziser: zu alten Häusern. Noch genauer: zu alten Häusern, die dem Zerfall preisgegeben sind.
„Das Schöne, Schäbige, Schwankende“ lautet ein Buchtitel, der wunderbar zu meiner Leidenschaft passt. Ist das normal, frage ich mich? Beim Googeln finde ich keine Einträge, die meine Manie in den Bereich der Psychotherapie verweisen würden; ich finde nur lauter neue Ansichten von alten Häusern ... Es gibt kaum eine größere Wonne für mich, als irgendwo, gerne am Wegesrand, ein zerfallendes Gebäude zu entdecken, das man vielleicht sogar noch vorsichtig begehen kann. Meine Wahlheimat Griechenland ist reich gesegnet damit. Über Land fahren mit Zeit im Gepäck, ein verlassenes Gehöft oder Haus erblicken, parken, sich langsam annähern, vorsichtig durch das Gestrüpp tasten, mit Schlangen oder sonstigem Getier rechnen, vielleicht sogar bis zu einem Eingang gelangen, der dann einen Blick in das Innere zulässt – ein Erlebnis! Was geht da in mir vor? Da sind auf der einen Seite all die Fragen: Wer hat hier einmal gehaust? Wie haben die Bewohner gelebt damals? Wovon haben sie gelebt? Warum hat das ein Ende nehmen müssen? Und warum muss das Gebäude so vor sich hinkümmern? Auf der anderen Seite ist da das Gefühl, dass hier wirklich etwas am Sterben ist, was einmal Heimat und Schutz war für Menschen. Das Haus bekommt fast etwas Menschliches für mich. Ein Gesicht und einen Charakter sowie eine persönliche Geschichte hat es ja ohnehin. Nun habe ich mich schlau gemacht: Das Denken und Fühlen, was alte Häuser betrifft, hat nicht nur mich im Griff. Man nennt es heute beim Namen: Es sind Urban Explorer, und sie tun sich um nach Lost Places.
Auf der Chalkidiki, wo wir wohnen, muss man sich schon ein Stückchen ins Innere begeben, wenn man wirklich alte Häuser entdecken möchte. Ein Großteil der Region im Westen wurde erst nach 1922 besiedelt, als die im Zuge der sogenannten „Kleinasiatischen Katastrophe“ Vertriebenen eine neue Heimat brauchten. Diese neu gegründeten Siedlungen tragen alle das Wort Nea/Neo in ihrem Namen: Nea Moudania zum Beispiel oder unser Städtchen Nea Kallikratia. Für Leute wie mich ist das Städtchen Parthenonas auf dem Sithonia-Finger der Halbinsel ein gefundenes Fressen oder sagen wir: eine Leibspeise. Beim Gang durch die überschaubare Gemeinde finden sich Häuser in allen Stadien ihres Daseins bis hin zur völligen Auflösung. Dornröschen lässt grüßen! Die Natur nimmt sich mit unendlicher Geduld und unergründlicher Dynamik wieder zurück, was man ihr einmal abgerungen hatte. Parthenonas wurde ab den 1970er Jahren als Refugium wiederentdeckt. Etliche Häuser, die dem Zerfall anheim gegeben waren, wurden mit Liebe restauriert; ja, sicher auch mit Geld ... Zuvor war Parthenonas über viele Jahre hinweg unbewohnt. Die Entfernung zu anderen Siedlungen sowie wirtschaftlicher Druck zwangen die Menschen zum Aufgeben. 2011 zählte man wieder ganze 21 Einwohner. Immerhin. Ganz anders ist die Lage zur Sommerzeit, wenn zahlreiche Besucherinnen und Besucher von auswärts den Ort mit Leben erfüllen. Sie können dann – ebenso infiziert wie ich – langsam durch die steilen Straßen, Gassen und Wege laufen und sich rechts und links verlieren – in Durchblicken auf längst vergangene Zeiten, als alles noch ein bisschen anders war. (Griechenland Zeitung / Christa Maria Kalaïtzidis)