Der um 497 v. Chr. in Athen geborene Sophokles schrieb mehr als 120 Dramen, sieben seiner Tragödien sind uns bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Wohl beziehen sich seine Tragödien auf altgriechische Mythen und Sagen, doch seine Werke sind zeitlos, die behandelten Themen treffen wie Shakespeares und Goethes Werke den jeweils herrschenden Zeitgeist. Die von Sophokles geschriebene Tragödie „König Ӧdipus“ beispielsweise liest sich wie ein Kriminalroman.
In der griechischen Stadt Theben ist König Laios soeben ermordet worden. Täter unbekannt. Ӧdipus reist an, befreit die Stadt von der menschenfressenden Sphinx, wird zum neuen König ernannt, nimmt die Witwe seines umgebrachten Vorgängers zur Ehefrau und ermittelt. Grausige Entdeckungen machend klärt er den Mord schlieβlich auf. „Antigone“ ist eine weitere Tragödie des Sophokles’, die wie „König Ӧdipus“ zu den Höhepunkten des klassischen Dramas zählt. Im Wettkampf um die Königsherrschaft machen Antigones Brüder ihre Heimatstadt zum Kampffeld, töten sich gegenseitig. Da sie die eigene Stadt zum Schlachtfeld gemacht haben, sollen die Leichname auf Befehl des Onkels und nunmehrigen Königs Kreon liegen bleiben – den Hunden zum Fraß. Die Stellung Antigones ist ambivalent: Sie muss sich für Menschenrechte und Familienpflicht entscheiden und ihre Brüder beerdigen oder sich den staatlichen Gesetzen unterwerfen und dem königlichen Befehl Folge leisten. Unter dem Druck der jeweiligen politischen Regimes wurde „Antigone“ in Deutschland von Brecht und in Frankreich von Anouilh wieder aufgegriffen und neu bearbeitet. Und wirft man heute einen Blick auf die benachbarte Türkei, so stellt man fest, dass die Fragen, ob man Widerstand leisten kann oder ob die staatlichen Gesetze über allem stehen, genauso brandaktuell sind wie zu Zeiten von Sophokles vor 2400 Jahren. Es ist nicht verwunderlich, dass Sophokles ein durchaus politisch aktiver Staatsbürger Athens war. Er amtierte als oberster Finanzbeamter, war im Krieg gegen die Insel Samos einer der obersten Feldherrn und gehörte noch als über Achtzigjähriger einem Gremium für eine neue Verfassung Athens an. Die Protagonisten in Sophokles’ Tragödien stürzen oftmals schuldlos ins Verderben, erleiden wie im wahren Leben grausame, unverständliche Schicksalsschläge. Und trotzdem verlassen die Theatergänger die Sophokles-Tragödien oftmals mit einem Gefühl der Erhabenheit und der Freude. Denn Sophokles vermittelt die tröstende Auffassung, dass über all dem willkürlich erscheinenden Wirrwarr ewige Gesetze stehen, eine höhere Ordnung, die das menschliche Schicksal lenkt und ihre Hand über uns hält. (Griechenland Zeitung / Linda Graf)