Login RSS

Bedauern über die Eskalation der Worte

  • geschrieben von 

Fritz Gross und Eva Jakob leben seit 14 Jahren in Griechenland. Sie haben der Griechenland Zeitung im Vorfeld des Besuches von Premier Tsipras am Montag (23.3.) einen Brief an die Bundeskanzlerin zur Veröffentlichung zugeschickt. Deutsche, die in Griechenland leben, haben andere Sensoren. Nicht nur aus diesem Grund wollen wir Ihnen den Brief nicht vorenthalten.

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin,

das, was zurzeit in vielen deutschen Medien gegenüber dem griechischen Volk und seiner demokratisch gewählten Regierung an Schmähungen und Beleidigungen, an Verdrehungen, falschen und unvollständigen Zitaten veröffentlicht wird, ist an Bösartigkeit nicht zu überbieten.
Wir leben seit 14 Jahren in Griechenland und erleben hautnah, wie sich die Stimmung gegenüber Deutschland und gegenüber der von Deutschland wesentlich geprägten Politik seit 2008 dramatisch verschlechtert hat.
Auch manche Äußerungen zum Beispiel von Finanzminister Schäuble, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU Kauder und vom bayerischen Finanz- und Heimatminister Söder sind überhaupt nicht dazu angetan, die Stimmung in Griechenland gegenüber Deutschland und seinen Politikern zu verbessern, ganz im Gegenteil.
Abgesehen von wirklich unangemessenen Äußerungen auch griechischer Medien und Politiker gegenüber Deutschland, seiner Politik und den deutschen politischen Repräsentanten, vernehmen wir hier vor Ort nur ein tiefes Bedauern über die Eskalation der Worte.
Dem Ansehen Deutschlands in Griechenland und darüber weit hinaus schadet auch die jahrzehntelange Weigerung der Bundesregierungen, den Opfern der Nazigräuel im besetzten Griechenland endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es kann doch nicht so schwer sein, einen Weg dazu zu finden. Im Gedächtnis der Griechen wird dieses schändliche Verhalten Deutschlands immer präsent bleiben, bis eine angemessene und für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden worden ist. Schauen Sie sich gelegentlich in einer ruhigen Stunde den Film von Stefan Haupt über das Massaker von Distomo „Ein Lied für Argyris“ an.

Wir dürfen Sie an Ihren Amtseid erinnern:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, kommen Sie dem Versprechen in Ihrem Amtseid nach und wenden Sie weiteren Schaden vom deutschen Volk ab, indem Sie sich endlich öffentlich von den erwähnten ungehörigen und unanständigen Unterstellungen distanzieren und ermahnen Sie Ihre Parteifreunde, dass sie sich gegenüber dem griechischen Volk und seiner Regierung zu mäßigen haben.
Uns liegt sehr am Herzen, dass es in Griechenland zu einer vernünftigen Lösung der bestehenden Probleme kommt. Dafür muss zunächst auf beiden Seiten verbal vollständig abgerüstet werden. Nur dann kann ein fruchtbarer Dialog auf Augenhöhe stattfinden, bei dem auch die katastrophale soziale Situation in Griechenland und die gewaltigen Unterschiede in der Mentalität der beiden Völker eine maßgebliche Rolle zu spielen haben.
Wir hoffen, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, dass Sie aus Anlass des Besuchs von Ministerpräsident Tsipras am Montag die Gelegenheit genutzt haben, dem griechischen Volk Ihren Respekt und Ihr Mitgefühl zu vermitteln und für die Abrüstung in der verbalen Schlacht zu werben.
Im Europäischen Rat sollten Sie sich dafür stark machen, den Griechen viel mehr Zeit für die Umsetzung der Reformen einzuräumen, weil ihre Umsetzung in Griechenland, in dem der Staat bisher nur als Gegner gesehen wurde, unendlich länger dauern muss, wie zum Beispiel in mitteleuropäischen Ländern. Werben Sie dort für ein partnerschaftliches Miteinander und einen zivilisierten Umgang. Sie würden damit der europäischen Idee einen großen Dienst erweisen.

Mit freundlichen Grüßen aus Griechenland

Fritz Gross und Eva Jakob
Lefkas - Griechenland

Nach oben

 Warenkorb