Die Chalkidiki gleicht einer Hand mit drei Fingern. Wobei jeder Finger seinen eigenen Charme und seine eigene Geschichte besitzt.
„Wie kommen wir zur Mönchsrepublik Athos?“ Ratlos steht das russische Touristenehepaar an der abweisenden Grenzmauer. Es scheint nicht zu wissen, dass der Zutritt zur Mönchsrepublik Frauen seit dem 11. Jahrhundert verwehrt ist und Männer eine Einreiseerlaubnis benötigen. Enttäuscht steigen die beiden in ihren Geländewagen und fahren zurück in das nahegelegene Ouranoupoli, dem letzten weltlichen Ort auf dem östlichen Athos-Finger. Ein imposanter mittelalterlicher Wehrturm dominiert die „Himmelsstadt“. In seinem Schatten warten Pilger und Mönche auf ihre Schiffspassage zu den Athos-Klöstern. Nach der Niederlage im griechisch-türkischen Krieg 1922 campierten an gleicher Stelle verzweifelte griechische Flüchtlinge. Sie stammten von den Inseln des Marmarameeres und erbauten schließlich das moderne Ouranoupoli. Das antike Ouranoupoli suchen Archäologen noch heute. Es muss ein seltsamer Ort gewesen sein. Gegründet von einem exzentrischen makedonischen Adligen namens Alexarchos sprachen seine Einwohner einen von ihm entworfenen Dialekt.
Der Grenzort Ouranoupoli mit dem mittelalterlichen Wehrturm.
Der verschwundene Kanal
Wir fahren entlang der schmalen Küstenstraße Richtung Norden. Es geht vorbei an einem Fähranleger. Touristen und Einheimische warten auf das Schiff, das sie zur Insel Amouliani bringen soll. Sie ist die größte der Chalkidiki vorgelagerten Inseln. Hier, unweit des Hafens, muss in antiker Zeit der Kanal des persischen Königs Xerxes die Landschaft geprägt haben. Um 480 v. Chr. ließ Xerxes den zwei Kilometer langen und vier Meter tiefen Kanal mit Hilfe phönizischer Experten anlegen. Über die künstliche Wasserstraße konnte die persische Kriegsflotte gefahrenfrei Richtung Athen ziehen. Zuvor waren persische Kriegsschiffe bei der Umsegelung der sturmumtosten Athos-Halbinsel gekentert und unzählige Soldaten ertrunken. Anschließend soll der König die Auspeitschung des Meeres befohlen haben.
Nein zum Gold
Aushubarbeiten ganz anderer Dimension erhitzen die Gemüter im wenige Kilometer entfernten Ierissos. Im kleinen Städtchen und in den benachbarten Küstendörfern zeugen schwarze Transparente vom Protest gegen den geplanten Goldabbau im Binnenland. Auch in Develiki, einer versteckt gelegenen Strandsiedlung ist die Meinung zu dem Thema eindeutig. „Wir sagen Nein zum Gold“, heißt es in einer pittoresken Taverne direkt am langgezogenen Sandstrand. Das Lokal hat wenig mit den üblichen Gaststätten in den touristischen Zentren gemein. In Develiki erinnert vieles an die längst vergessene Hippie-Zeit. Traumfänger hängen in den Bäumen. Filmmusik der 60er Jahre wird gespielt. Der junge Wirt outet sich als Fan des deutschen Fußballvereins Sankt Pauli und seiner links-alternativen Anhängerschaft.
Abendstimmung in einem Gebiet bei Ierissos, in dem der Goldabbau die Gemüter aktuellAbendstimmung in einem Gebiet bei Ierissos, in dem der Goldabbau die Gemüter aktuellsehr erhitzt.
Im Strandabschnitt Develiki bei Ierissos trifft sich die alternative Szene.
Ein Hauch Karibik
Wir verlassen diesen eigentümlichen Ort in Richtung der mittleren Sithonia-Halbinsel. Türkis schimmert das Meer. Flamingos fliegen vorüber. Bei der Siedlung Vourvourou mit ihren vorgelagerten Inseln kommt Karibikfeeling auf. Feiner Sand, ausgewaschene Felsen und das satte Grün des bewaldeten Berglandes machen die Strände der östlichen Sithonia zu Postkarten-Motiven. Zumal der Blick vielfach bis zum Berg Athos reicht, der mit seinen 2.033 Metern imposant aus dem Meer ragt. Im Hochsommer stark frequentiert, erfasst diese Strandabschnitte gegen Ende der Saison eine romantisch-melancholische Stimmung. Wir passieren Porto Koufo. Hier an der Südspitze fallen die großen fjordartigen Buchten auf. Sie dienten der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges als U-Boot-Stützpunkte.
Küstenabschnitt zwischen dem Athos-Finger und der Sithonia bei dem Schild an der Grenze zur Mönchsrepublik AthosDorf Pirgadikia (unweit von Vourvourou).
Schild an der Grenze zur Mönchsrepublik Athos.
Das Land des Millionärs
Die fotogene Westküste der Sithonia besitzt ein 475 Hektar großes Weinanbaugebiet. Der mittlerweile verstorbene Reeder und Multimillionär Giannis Carras plante ab den 1960er Jahren die Produktion des besten griechischen Weines. Für dieses ehrgeizige Vorhaben ließ er ganze Hügelketten umgestalten. Es folgten turbulente Jahre, in denen exemplarisch Weinernten komplett vernichtet werden mussten. Diese Zeiten sind Vergangenheit. Mittlerweile wird an den Westhängen der Sithonia biologischer Weinanbau betrieben. Giannis Carras ließ neben den Weinbergen auch ein großräumiges Urlaubsresort namens Porto Carras errichten. Mit der Gestaltung beauftragte der Reeder den berühmten deutschen Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Dessen Büro schuf eine imposante Anlage. Sie ist heute ein bedeutendes architektonisches Zeugnis der 1970er Jahre und umfasst Hotelanlagen, einen Golfplatz, ein Casino und einen Jachthafen. Im Jahr 2003 tagten hier die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union.
Abseits des touristischen Trubels
Wer dem Trubel der Hotelanlagen und Küstenorte entfliehen möchte, der sollte das Bergdorf Parthenonas besuchen. Es liegt oberhalb des geschäftigen Küstenstädtchens Neos Marmaras. Parthenonas war jahrelang ein Geisterdorf. Von seinen Bewohnern verlassen und von der Natur erobert schlief es seinen Dornröschenschlaf. Bis es 1977 wachgeküsst wurde. Einheimische und Touristen entdeckten das Kleinod. In die altehrwürdigen Steinhäuser zog wieder Leben ein. Die Menschen in Parthenonas genießen einen weiten Blick über das tiefblaue Meer bis hin zur Halbinsel Kassandra, dem westlichen Finger der Chalkidiki.
Das Griechenland der Antike
Bevor wir Kassandra erreichen, stoppen wir an der Ausgrabungsstätte Olynthos. Sie ist ein archäologisches Schmuckstück aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Altertumsforscher legten Straßenzüge und gut erhaltene Bodenmosaike frei. Zu sehen sind Fragmente einer modern wirkenden Reihenhaussiedlung. Geplant wurde Olynthos als ein Fluchtort im Binnenland. Die damaligen Küstenbewohner waren Verbündete Spartas und fürchteten die Flotte des Konkurrenten Athen. Beim Spaziergang durch die Straßen kommt schnell die Frage auf, wie es wohl gewesen sein muss, hier vor circa 2.500 Jahren zu leben?
Ein Mosaik der Ausgrabungsstätte Olynthos.
Das Grab des Giganten
Mit diesen Gedanken erreichen wir die durch einen Kanal vom Festland getrennte Kassandra. Einer uralten Legende folgend soll unter der gesamten Landzunge ein Gigant begraben liegen. In grauer Vorzeit hätte er sich mit anderen Giganten gegen die Götter des Olymps erhoben, die Schlacht jedoch verloren. Unvermittelt finden wir uns im Hier und Jetzt wieder. Auf einer vielbefahrenen Autobahn geht es Richtung Süden. Die Nähe der Kassandra zur Großstadt Thessaloniki ist augenscheinlich: Grelle Leuchtreklame und große Ferienanlagen bestimmen die Szenerie. Die Halbinsel ist touristisch sehr gut erschlossen. Die Landschaft wirkt nicht so wild-romantisch wie auf den beiden anderen Fingern. Doch die sanften Hügel versprühen ebenfalls ihren Reiz. In Afitos endet unsere Reise. Es ist ein Dorf, dessen guterhaltene Bausubstanz vielfach aus dem 19. Jahrhundert stammt. Afitos liegt am Rande einer Steilküste. Seine engen Gassen laden zum Spazieren und Entdecken ein. Hier und da gibt es romantische Ausblicke auf das blaue Meer. Vor der dominierenden Kirche des kleinen Dorfplatzes machen wir Rast und gönnen uns ein Mastix-Eis. Wir fabulieren, dass so auch das Eis im alten Byzanz geschmeckt haben muss. In der Tat, die Chalkidiki hat Beides zu bieten: Schönheit und Geschichte.
Info zur Chalkidiki:
Die Chalkidiki besitzt mit einer Fläche von 2.918 km² in etwa die Größe des Saarlandes. Auf der Halbinsel mit ihren drei Fingern Kassandra, Sithonia und Athos leben zirka 105.000 Einwohner. Damit ist die Chalkidiki relativ dünn besiedelt. Kleine Hauptstadt ist das im Binnenland gelegene Polygyros. Die touristischen Zentren liegen dagegen an der über 500 Kilometer langen Küste.
Von Alexander Jossifidis