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Euböa – ein Griechenland en miniature

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Fotos und Text von Geneviève Lüscher und Felix Müller Fotos und Text von Geneviève Lüscher und Felix Müller

Die zweit größte Insel des Landes, Teil 1

Euböa, oder Evia, wie die Griechen sagen, ist ein Griechenland im Kleinen: Mit dem trockenen, wilden Süden und dem waldreichen Norden bietet die langgestreckte Insel für all diejenigen etwas, die gerne zu Fuß unterwegs und nicht auf Discos, Bars und ein lebhaftes Strandleben angewiesen sind. „Einen Wanderführer zu Euböa? Das können Sie glatt vergessen. Wo ist das überhaupt?“

So oder so ähnlich lautete die Antwort aller von uns angefragten deutschsprachigen, auf Wanderführer spezialisierten Verlage. Unisono behaupteten sie, dass sich ein solcher Führer nicht verkaufen würde. Lieber wollten sie den zwanzigsten Wanderführer zu Kreta oder Samos herausgeben, aber Euböa – nein, das kenne ja niemand. Dennoch sind wir nach Euböa gefahren. Um zwischen unserem Arbeits- und dem Rentnerleben eine Zäsur zu schaffen, hatten wir beschlossen, ein ganzes Jahr in Griechenland zu verbringen. Unsere Wahl fiel auf Euböa, das wir von früheren Reisen her kannten, und das uns gefiel, weil es touristisch kaum erschlossen ist und eine traumhaft schöne Natur zu bieten hat. Auch die Idee, einen Wanderführer zu schreiben, hatten wir nicht ganz ad acta gelegt, aber statt ein Buch zu schreiben, haben wir im Internet eine entsprechende Website eröffnet.

Ausflugsziel für Athener Upperclass

Euböa ist mit 180 Kilometern Länge nach Kreta die zweitgrößte Insel Griechenlands. Weil sie sich aber so eng ans attische Festland schmiegt, mit ihm sogar durch eine Brücke verbunden ist, wird sie im Kartenbild nicht als Insel wahrgenommen. Zudem gehört sie nicht zu den Kykladen, den „Klischee-Inseln“ Griechenlands, hat kaum weiß getünchte Häuser mit blauen Fensterläden, nur wenige Sand-, aber dafür viele Kiesstrände und kommt deshalb in den mitteleuropäischen Ferienprospekten kaum vor. Gut bekannt ist die Insel hingegen bei der Athener Upperclass, ist sie doch nur zwei Autobahnstunden von der griechischen Hauptstadt entfernt. Viele Städter haben hier ihr Ferienhaus, und im Sommer kann Euböa an den neuralgischen Punkten und an den Wochenenden recht überlaufen sein. Viele der Ferienhäuser stehen heute mit der Krise allerdings leer: „polite“ (zu verkaufen) steht auf den Schildern. Und nein, das Sommergeschäft laufe nicht mehr so gut wie früher, beklagen sich die Tavernenwirte. Weil die Athener ihren Sommer in den eigenen vier Wänden, oft luxuriösen Anwesen, verbringen, ist auf Euböa der Hoteltourismus mit seinen Bausünden – noch – wenig ausgeprägt. Sieht man von Chalkida, der Inselhauptstadt in der Mitte, von Loutra Edipsou im Norden und Eretria sowie Karystos im Süden ab, wo es einige Ressorts und große Anlagen gibt, muss man die Hotels bisweilen fast suchen, und die wenigen, die es hat, schließen natürlich ihre Tore für das ausgedehnte Winterhalbjahr.

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Authentische Insel

Auch die touristischen Begleiterscheinungen wie Pizzerien oder Boutiquen mit Touristennepp, Strände mit Liegestuhlreihen, Strandbars und Discos sind rar. Und wer außerhalb der obengenannten Zentren Postkarten sucht, um die Lieben daheim zu beglücken, wird überhaupt nicht fündig. Warum also nach Euböa reisen? Weil die Insel authentisch geblieben ist und keine kitschige, museale Scheinwelt für Touristen vorgaukelt. Weil es hier alles gibt, was Griechenland zum Sehnsuchtsland macht: den blauen Himmel, das blaue Meer, die weiß getünchten Kapellen, die Sonne und das spezielle Licht, wilde Gebirge mit fauchenden Winden, leere Strände, Pinienwälder, rauschende Bäche – mit anderen Worten: keine Hektik, wenig Verkehr, viel Natur, sehr viel Ruhe und nicht zu vergessen: Menschen, die in einem nicht nur den geldbringenden Touristen sehen, sondern die ganz einfach freundlich sind.

Bergbau, Müll und wilde Jägerei

Natürlich hat auch Euböa seine Schattenseiten. Der Bergbau hat große Wunden in die Landschaft gerissen und Abraumhalden hinterlassen, die sich die Natur nun langsam zurückerobert. Nur wenige Werke sind noch aktiv, gefördert wird hauptsächlich Nickel und Magnesit. Die intensive Landwirtschaft mit ihrem ebenso intensiven Düngereinsatz macht genauso wenig Freude wie die planlose Zersiedelung mit Ferienhäusern und die versteckten Abfalldeponien. Ein Dorn in unserem Auge war auch die – wie uns schien – sinnlose Jagd, der die Euböer während des ganzen Winterhalbjahres frönen. Besonders an den Wochenenden ist die Schießerei bisweilen beängstigend und kann einem eine Wanderung in der Natur vergällen.

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Cafés und ein Naturphänomen

Aber lassen wir doch die Unschönheiten einfach hinter uns und konzentrieren uns während der folgenden Rundfahrt auf die Highlights. Wir starten in der Mitte, in Chalkida, wo die meisten Reisenden, die mit dem Auto oder mit der Bahn unterwegs sind, die Insel erreichen. Ja, Sie haben richtig gelesen: mit der Bahn. Athen und Chalkida sind über die Strecke Athen – Thessaloniki miteinander verbunden, nach Chalkida führt dann allerdings nur ein Seitenzweig. Die Zugreise lohnt sich. Man fährt durch das bergige Attika, durch schöne Wälder, und es bieten sich weite Ausblicke auf den Golf von Euböa und die Insel selber. Die Inselhauptstadt ist eine ganz normale griechische Stadt mittlerer Größe mit einer langen Paralia, gesäumt von schicken Cafés und Restaurants, wo man die Strömungswechsel im Euriposkanal, der Euböa vom Festland trennt, beobachten kann – ein einzigartiges und noch immer der Erklärung harrendes Naturphänomen. Hinter einer fast mondänen Geschäftsstraße muten dann die Straßenzüge mit den leerstehenden, zugenagelten Läden eher trostlos an, und auch die langsam zerfallenden großen Markthallen wirken beklemmend. Überraschend modern und großzügig dann das neue Archäologische Museum, das allerdings nur donnerstags geöffnet hat.

 

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Der Pilgerort Prokopi

Von der Inselmitte wenden wir uns nach Norden, durch die weite Ebene von Psachna, dem Gemüsegarten der Insel. Schon bald steigt die Straße an, wir tauchen ein in die schattigen Pinienwälder, welche die Berghänge mit ihrem samtenen Dunkelgrün überziehen. Nach der Passhöhe fällt die kurvenreiche Straße steil ab, wir passieren eine bedrohlich enge Schlucht und erreichen schon bald den Pilgerort Prokopi. Hier finden zu Ehren des hier aufgebahrten Heiligen Ioannis Rossos mehrmals im Jahr große Ritualfeste statt, die Tausende von Pilgern anziehen. Entsprechend gibt es hier eine Pilgerherberge, viele Tavernen, Imbissbuden und Devotionalienstände. Heilige, Gläubige und Abergläubische treffen sich hier. Autobusse aus Bulgarien und Rumänien zeigen, wo Ioannis Rossos besonders beliebt ist. Die stillose Kirche zeigt an, dass der Pilgerort noch jung ist. Der Wundertätige ist erst mit den Flüchtlingen aus Kleinasien 1922 nach Prokopi gekommen, das damals noch Achmetaga hieß. Als Achmetaga hat der Ort eine internationale Vergangenheit. In der Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich hier ein Engländer und ein Schweizer nieder, kauften ein großes Landgut, das sie gemeinsam erfolgreich bewirtschafteten. Während der Schweizer bald wieder zurückkehrte, blieb der Engländer; seine Nachkommen leben noch heute auf dem sogenannten Kandili Estate. Wir fahren weiter Richtung Mantoudi und machen kurz danach einen kleinen Abstecher an die Ostküste. Dort, wo der Boudouros ins Meer mündet, erstreckt sich ein länglicher Hügelzug. Hier stand einst die antike Stadt Kerinthos. Sie war einer der Orte, die laut Homer Schiffe nach Troja entsandt haben. Heute sind nur noch wenige Mauern zu sehen, aber wegen der prächtigen Aussicht auf die Inseln Skiathos und Skopelos lohnt sich der kurze Umweg.

In der zweiten Folge des Beitrages über Euböa erfahren Sie u. a. etwas über das traditionsreiche Heilbad Edipsos, das archäologische Highlight Eretria sowie über die „Drachenhäuser“ von Stira.

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