Kea oder Tzia: Einen Katzensprung von Athen entfernt, Teil 1
Welche Kykladeninsel mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten und schönen Wanderwegen liegt ganz nah an Athen – und ist trotzdem kein Touristenziel? Welche Kykladeninsel ist sehr grün, wasserreich und fruchtbar? Kea! Die kleine Insel liegt nicht an den großen Fährrouten, ist nicht direkt über den Hafen von Piräus zu erreichen, sondern mit den Fähren ab Lavrio – und schon gehört sie den Griechen selbst. Vor allem Hauptstädter scheinen sich hier ein Wochenend- und Ferienhaus zu gönnen.
Es gibt nicht allzu viele Touristenunterkünfte, aber im Sommer doch genügend in Strandnähe. Im Winter ist es schwieriger, aber wir wollen uns nun mal ausgerechnet Anfang Februar ein paar Tage dort umtun, angefeuert durch die günstige Wetterprognose („frühlingshaft/frühsommerlich ... mit Temperaturen bis zu 20 Grad C“). Ein Hotel im Hauptort Ioulida, das nur für uns öffnet, haben wir auch gefunden.
Winter auf griechischen Inseln ist eine besondere Erlebnis, wenn kaum Touristen unterwegs sind, alle Frühblüher aus dem üppigen Grün heraus leuchten, die Einheimischen Zeit haben für ein Schwätzchen und man ohne Sonnenhitze wandern kann. Das klare Licht, die milden Temperaturen überwiegen, die Tage mit heftigen Regenschauern und Sturm sind seltener als man denkt. Allerdings belehrt uns die Erfahrung, im Winter dorthin zu fahren, wo es ein größeres Dorf oder eine Kleinstadt gibt mit einer grundlegenden Infrastruktur, wo auch im Winter Einheimische wohnen, die einkaufen oder essen gehen wollen. Sonst kann es schwierig werden. Also: Ioulida! Man kann auch Ioulis sagen.
Weiße und pastellfarbene Häuser ergänzen sich harmonisch.
Im Gebirge oben
Am späten Nachmittag geht es los. Wir teilen das Schiff mit sehr wenigen Passagieren (keine Touristen außer uns!) und vielen Lastwagen mit Baumaterial. Beton und Holz werden dort wohl massenhaft benötigt.
Wir fahren an der unbewohnten Insel Makronissos vorbei, eine sehr langgezogene Landmasse. Wir denken an Theodorakis, der dort 1948 interniert war, und all die anderen Häftlinge. In diesem Straflager starben viele Menschen.
Kaum biegen wir um die Ecke, schaukelt die Fähre wie vor Helgoland, rauf und runter, links und rechts, sie schlingert auf und ab, hin und her. Man bleibt da lieber sitzen, wo man gerade ist. Gut, dass die Fahrt nur eineinhalb Stunden dauert. Die Lichter gehen gerade an, als wir in den Hafen von Korissia einlaufen. Glockengebimmel, ein Gruß von der Kirche. Ein Halbrund von Bucht, ein schöner Strand, Kneipen, ein hübscher Ort, sicher zauberhaft im Sommer. Gleich nach dem Strand steigen die Berge steiler an. Im Gebirge oben liegt Ioulida, ein absoluter Kykladen-Traum. Weiße und pastellfarbene Häuser, rote Giebeldächer. Weiches Licht bricht sich an den kubischen Formen.
Unser Hotel ist neu und sehr gemütlich, schön warm, vom Elektroofen geheizt. Das hat die Wirtin für uns, ihre einzigen Gäste, vorbereitet.
Schon im Februar ist die Natur mit Farben verschwenderisch.
Fotoschönheit Ioulida
Der Ort Ioulida ist eine Fotoschönheit, also immer drauf auf den Auslöseknopf. Es ist eine Lust, hier herumzustreunen. Der Ort bezaubert uns! Autos passen nicht rein. Die Häuser stehen eng an eng verschachtelt, ein typisch kykladisches Gassengewirr. Brücken über der Gasse erweitern den Wohnraum. Überall Durchgänge, Treppen, sehr romantisch, überall schmiedeeiserne Gitter und verspielte Balkonbrüstungen. Überall schöne Winkel, Ausblicke, Einblicke.
Wir spazieren die Hauptgasse hoch und suchen ein Lokal für den Abend. Wir landen in einem Café und nehmen erstmal, was es halt gibt, einen Ouzo. Oma und Opa spielen Karten, der dicke Enkel mopst sich offensichtlich. Hunger beschleunigt das Finden des einzigen offenen Lokals, das heute voll besetzt ist, ausschließlich mit Männern. Hinter uns läuft Fußball im Fernsehen, scheinbar irgendein wichtiges Spiel. Nur zwei am Nebentisch gucken nicht hin, die spielen lieber Karten. Einer ist ein Losverkäufer, aber offenbar läuft sein Geschäft nicht so gut.
Es gibt hier gutes traditionelles Essen in reichlichen Portionen. Wir essen alles auf, weil es so gut schmeckt.
Kykladisches Weiß
Sonne, Frühling! Ein Wetter wie Samt und Seide. Im leichten Anorak ist mir zu warm. Wenn wir im Hotel Frühstück hätten haben wollen, hätte die junge Frau Ungelegenheiten gehabt. Sie hätte nur unseretwegen herkommen müssen. Das haben wir sofort begriffen. Kein Problem. Wir bekommen einen Kaffee im Café auf der Terrasse am Parkplatz, von wo aus man weit ins Tal bis zum Meer sehen kann. Da macht es nichts, dass es hier nichts zu essen dazu gibt. Wir kaufen ein knuspriges Brot und Croissants beim Bäcker um die Ecke. Keiner hat hier etwas dagegen, dass man sein Essen mitbringt. Das Wohl des Gastes hat Priorität.
Bei Tag ist der Ort genau so schön wie abends. Die Fassaden strahlen im kykladischen Weiß, in Zartrosa, Hellgelb, einem wässrigen Hellblau oder in Apricot. Es gibt nichts, was das Auge beleidigen könnte. Eine Frau nutzt das helle Licht, um die weißen Ränder des Plattenwegs nachzupinseln.
Verschönerungsarbeiten
Ins Auge springt die Allgegenwart der Spuren eines Malers, dessen typische Bilder wir schon kennen. Alekos Fassianos heißt er. Er hat hier im Ort sein Sommerhaus. An allen möglichen Fassaden, Mauern und Gittern hat er seine Malereien, Skulpturen oder Schmiedearbeiten hinterlassen, mal blasser, mal frischer, mal kräftiger erhalten. Die Tage auf der Insel werden für uns zur Spurensuche.
Der berühmte Löwe
Wir wandern heute erstmal „auf Sicht“: Einmal ganz oben im Bogen um den Ort herum, sehen ganz viele Anemonen und andere Frühblüher, gehen zunächst hoch zum neoklassizistischen Gebäude, das aussieht wie eine Schule. Es ist eine Ruine. Schade! Bald dahinter finden wir eine Kapelle, die halb in eine Höhle hineingebaut ist. Idyllisch wächst hoher Fenchel rundum, Studentenblumen, alte Eichen, grün. Alles ist üppig grün. Blühende Mandelbäume, Kirschen und Aprikosen, ein weicher Schaum von weißen und zartrosa Blüten. Ziegen. Alte Gemäuer. Den Berg hoch zu den alten Mühlen und Mühlenstümpfen oben auf dem Grat. Von oben haben wir unglaubliche Blicke auf Berge und Meer, renovierte alte Häuser und runde Tennen. Von hier oben sieht man, wie viel Neues gebaut wird, überwiegend schön, aber nicht immer. Hoffentlich passen die Einheimischen auf ihre Insel auf. Wenn das alles bewohnt ist, was jetzt im Bau ist! Man möchte die Luft anhalten.
Ein weiter Bogen herum, hoch zu Agia Anna, eine byzantinische Kirche ganz oben. Den ganzen Tag über treffen wir auf weitere weiße Kapellchen. Die unscheinbaren braunen Holz-Infotafeln über Wanderwege und Streckenausschilderungen haben wir anfangs nicht wahrgenommen. Die gibt es eigentlich überall, man muss nur erst das Prinzip kennen.
Charakteristische Kirchlein befinden sich nahe beim berühmten antiken Löwen von Kea.
Der Weg zum berühmten Löwen von Kea hinter dem Friedhof führt durch den Ort. Er ist ausgeschildert. Die monumentale, aus dem Fels heraus gehauene Plastik liegt einsam auf freiem Feld. Der Löwe aus dem 6. Jh. v. Chr grinst uns seltsam an mit seinem archaischen Lächeln.
Wir fahren mit dem Auto einmal rund, so weit man kommt: Unten zum Meer, hoch zum Kloster ganz am Ende der Straße, eine Art Leuchtturm. Unten eine bronzezeitliche Siedlung bei Agia Irini. Hübsche Buchten am Meer, wo man im Sommer gut baden können muss. Aber: Es wird massiv gebaut, alles Ferienhäuser, alle nur zur zeitweiligen Nutzung vorgesehen. Nicht noch mehr! Bitte nicht noch mehr!
Text und Fotos von Hiltrud Koch
Im zweiten Teil der Reportage stehen u. a. ein Besuch des Museums im Hauptort von Kea, Ioulida, auf dem Programm, gutes Essen in einer Taverne und meteorologische Überraschungen.