Von Stefanie Milius
Blech an Blech reihen sich die Autos auf der Fähre aneinander. Das Dröhnen der Motoren, die Stimmen der Passagiere und die Musik aus den knacksenden Lautsprechern vermischen sich zu einem dicken Geräuschteppich. Die Luft schmeckt nach Meer, dessen Oberfläche heute außergewöhnlich glatt ist. So zieht die Fähre eine Spur aus weißer Gicht durch das Wasser, während der nordöstlich von Athen gelegene Hafen von Oropos immer kleiner wird.Nach etwa 25 Minuten Fahrzeit erreichen wir Eretria. Prachtvolle Häuser an der Küste scheinen bis ins Meer zu ragen. Nicht weit vom Hafen ist unsere erste Station: das Archäologische Museum. Betreut wird es von der Schweizerischen Archäologischen Schule, die auf Euböa bzw. in Eretria seit 1962 Ausgrabungen durchführt. Hier wartet schon Claude auf uns, ein junger, hoch gewachsener Mann mit Jeans und blau-weiß kariertem Hemd, der uns im schönsten Schweizer-Deutsch durch das Museum führt.Das Museum verfügt zwar nur über zwei Ausstellungsräume, erweckt aber dennoch den Anschein von Großzügigkeit. Das helle, moderne Gebäude beherbergt Funde aus der Stadt, den Tempeln und Friedhöfen Eretrias, aber auch aus Amarynthos und Lefkandi von der Jungsteinzeit (5500-2800 v. Chr.) über die klassisch-hellenistische bis in die Römische Zeit (149-86 v. Chr.).Die interessierten Besucher der „Philadelphia" versammeln sich um Claude. Gespannt lauschen sie seinen Worten. Claude erzählt von der langen Besiedlungsgeschichte der Stadt, davon, wie Eretria sich an der Kolonisierung in Süditalien und Sizilien im 8. Jh. v. Chr. beteiligte, von den Athenern, Persern und Makedoniern beherrscht und letztlich 86 v. Chr. vom Römischen Reich zerstört wurde.Nun schauen wir uns die Ausgrabungen vor Ort an. Das Gelände, auf dem sich Fundamente und Reste einer Fülle an Gebäuden aus längst vergangenen Tagen Eretrias befinden, versinkt jetzt im Frühjahr in einem Blütenmeer. Ein Duft aus Kamille und anderen blühenden Blumen und Kräutern umgibt uns, während wir bei unserem Rundgang eine Schneise durch das an einigen Stellen brusthohe Gras ziehen. Schwer vorstellbar, das hier einst eine große Stadt gestanden haben soll. Voller Spannung folgen wir den Ausführungen von Claude und sind uns bewusst, dass wir auf mehreren tausend Jahren Geschichte wandeln. Hier standen vor vielen, vielen hundert Jahren stattliche Wohnhäuser, Tempel zu Ehren verschiedener Gottheiten, Sportanlagen, ein Theater, Stadtmauern, die Akropolis … Geschichte hat schon etwas Ehrfurcht gebietendes; man denkt das nicht nur, hier spürt man den Hauch der Zeit regelrecht.
„Viel übrig geblieben ist nicht", meint Claude
Nachdem wir das Theater besichtigt haben, das in einen künstlich geschaffenen Hügel hineingebaut wurde und einst für 6.300 Zuschauern Platz geboten haben soll, gehen wir einige Meter mitten durch die heutige Stadt, vorbei an neuen Häusern; auf einer gepflegten Terrasse sitzt eine kleine schwarze Katze mit weißem Latz und genießt die Mittagssonne – und schon stehen wir an der nächsten Ausgrabungsstätte. Das so genannte „Mosaikhaus": ein einstöckiges Gebäude mit grauem, blauem, rotem und gelbem Putz und gekacheltem Dach. Es ist der typischen Bauweise der Eritrianer nachempfunden. Im Inneren birgt es sehr gut erhaltene prächtige Mosaike, die einmalig für Griechenland sind. Die Gruppe drängt sich an die Fensterscheiben, um einen Blick auf die kunstvollen Bilder erhaschen zu können, die u.a. die Mutter von Achill mit Schild und Speer auf einem Seepferd reitend darstellen.Mittlerweile ist es halb zwei und die Sonne brennt erbarmungslos. Vorbei an alten Autos, die von Wind und Wetter schwer gezeichnet sind, pilgern wir entlang staubiger Straßen zu unserem letzten Ziel der Führung – dem Tempel des Apollo Daphnephoros. „Viel übrig geblieben ist nicht", meint Claude. Der Tempel, von dem nur noch die Grundmauern zu erkennen sind, gehörte zu den eindrucksvollsten Bauten in Eretria. Die stilvollen archaischen Skulpturen, die man im Inneren gefunden hat, sind nun im Museum ausgestellt. Dorthin muss jetzt auch Claude zurück – unsere Führung ist leider schon zu Ende.
Frittierter Fisch, Tyropita und Skordalia
Unser Bus bringt uns in die von vielen lang ersehnte Taverne. In Eretria gibt es sehr viele davon, außerdem eine stattliche Anzahl von Cafés. Ein Etablissement reiht sich an der Küste an das andere. Und jedes dieser Lokale ist auf seine Art charmant; anziehend. Die Philadelphia-Mitglieder haben eine kleine Taverne ausgewählt, die direkt am Strand liegt. Blaue Holzstühle und fein gedeckte Tische, die zu mehreren Tafeln zusammengestellt wurden, erwarten uns. Nun haben die Kellner alle Hände voll zu tun. Eine Köstlichkeit nach der anderen findet Platz auf den Tischen: frittierter Fisch, Tintenfischringe, Tyropites (mit Schafskäse gefüllter Blätterteig), Skordalia (eine Knoblauch-Kartoffelpaste), natürlich Tsatziki und vieles mehr. Und während wir das Essen genießen, erfahre ich so manche Geschichte aus dem einen oder anderen bewegten Leben der Mitglieder des Deutsch-Griechischen Vereins. Doch davon vielleicht ein andermal.
©Griechenland Zeitung, erschienen in Ausgabe Nr.81 vom 16.05.2007