Verschwenderische Schönheit – kristallener Marmor, Katholische Klöster, verstreute byzantinische Kapellen, weißer Marmortempel im Ackerland, voll gepackte kleine Lebensmittelläden, würziger Käse, Landwein und Zitronenlikör, Täler, silbergrün von Olivenbäumen und Felsentürme, Sandstrände hinter Schilfgürteln und Dünen, Landtavernen unter Platanen, Cafés und Würfelhäuser ... unzählig die Eindrücke, die zu Naxos gehören, der Insel, die von vielen als „schönste der Kykladen“ bezeichnet wurde.
Die Reste der venezianischen Hauptburg, des „Apano-Kastro“ (Castel d′Alto, Obere Burg), unweit von Sangri, liegen auf einem etwa 400 m hohen Bergkegel, umgeben von weiteren Felsentürmen nahe Chalki, dem Zentrum der großen Ebene. Einer dieser markanten Felsen, nur 2,50 m hoch, aber von auffallender Phallusform, wurde im 9./8. Jh. v. Chr. zum Grenzstein für eine Nekropole des Geometrischen Zeitalters: Das 1963 ausgegrabene Gräberfeld erstreckt sich unterhalb der Burg in heideähnlichem Land zwischen dornigen Kleinsträuchern und Steinpflanzen. Natur und uraltes Menschenwerk scheinen hier eins geworden. Ringförmig angelegte, grob oder nicht behauene Steine bezeichnen mehr als 30 runde oder elliptische Gräber mit bis zu 12 m Durchmesser. Im Bereich von Chalki sind die ältesten Kirchen von Naxos zu finden, die bedeutendste davon ist „Panaghia I Drossiani“ aus dem 6. Jh. (!). Aus grauen Feldsteinen, in teilweise welligen Umrissen, mit abgetreppten Dachgesimsen und wie „gequetscht“ wirkenden diagonal angelegten Kuppelkapellen erscheint sie faszinierend altertümlich. Das ganz Besondere aber sind ihre Fresken, die kurz nach der Erbauungszeit, spätestens im 7. Jh., entstanden sind und zu den frühesten kirchlichen Wandmalereien überhaupt gehören. Wie die byzantinischen Kirchlein verstreuen sich auch die venezianischen Wohntürme, bis ins 17. Jh. hinein von den Landherren zur Verteidigung ihrer Besitztümer errichtet, über das gesamte Agrarland. Bei Sangri erhebt sich weithin sichtbar, ein Orientierungspunkt für den ganzen Talkessel, der Pyrgos „Timios Stavros“, der zeitweise Kloster war und nach der dort im 19. Jh. wohnhaften Familie auch „Pyrgos Baseou“ genannt wurde: Gut restauriert steht er nun für Ausstellungen und Konzerte zur Verfügung – zwischen Ackerland und Viehweiden. Die einzigartige Mischung von Ursprünglichkeit und Kultur ist auf Naxos Lebensmaxime. Grundlage war neben dem früher auch für den Export genutzten bäuerlichen Reichtum – die Zitronen von Naxos gelangten bis nach Amerika – vor allem auch der Marmor.
Im Streiflicht: 3. Marmor
Für die Marmorkunst von Naxos liegen das Heute und das Einst dicht beieinander. Zum Atelier von Ingbert Brunk, dem deutschen Bildhauer, der aus dem kristallinen und farbigen Marmor von Naxos in feiner Abstraktion und oft auch in Assoziation an die Antike „lichthaltige“ Schwebeobjekte und „biegsame“ Skulpturen zaubert, die er in Athen, in deutschen und europäischen Städten ausstellt, muss man auf die Spitze der Chora in den ehemaligen Klosterbereich emporsteigen. Der Kouros von Flerio liegt in einem Privatgarten, der einmal Teil eines antiken Steinbruchs war: Mit gebrochenem Bein, vielleicht die Ursache dafür, dass er unvollendet blieb, ruht die über 6 m große Jünglingsstatue vor einem Mäuerchen. Die Besitzer des Gartens haben eine kleine Gaststätte eingerichtet, in der man auch zu einem Imbiss einkehren kann, und freuen sich über jeden, der „ihren“ Kouros besucht. Der nächste Marmorkoloss liegt nicht weit davon ein paar hundert Meter oberhalb zwischen Felsen, der „Kouros von Potamia“ oder „von Melanes“. Die Umgebung von Melanes ist reich an Marmorvorkommen, das Hauptabbaugebiet ist heute in der Nähe, bei Kinidaros. In Melanes gibt es etliche gute Dorftavernen, die sich mit ihren Rückfronten auf ein wundervoll grünes Tal öffnen: Hoch gegenüber liegen die weißen Häuser des Dörfchens Kouronochori mit einem venezianischen Wohnturm, dazwischen dehnen sich Zitrusgärten, Olivenhaine und Zypressengruppen um alte Gehöfte – unter ihnen das verlassene Jesuitenkloster Kalamitsia aus dem 17. Jh.Der dritte Kouros von Naxos liegt in einem Marmorbruch an der Nordspitze der Insel, oberhalb der Bucht von Apollonas, nur wenige Meter im Gebüsch über der Landstraße. 10 Meter misst er, ein gewaltiger Block, erst roh behauen, aber schon deutlich mit dem Ansatz eines Bartes, weshalb man ihn nicht als Apollon, sondern als Dionysos interpretiert. Hierher fährt man von Apiranthos über eine schmale, kurvenreiche Höhenstraße immer am Saum von Berghängen entlang über die Dörfer Koronos und Koronis. Still gelegte Gruben tauchen auf: Für den Schmirgel-abbau, eines Minerals, das in Marmor eingeschlossen, so häufig vorkommt, dass es exportiert wurde. Von Koronos, dem einstigen Bergbauzentrum, wurde es über eine (erhaltene) Industrieseilbahn zum einzigartigen Kieselstrand von Lionas transportiert, eine der wenigen Buchten, die im Nordosten der Insel als Hafen dienen konnte. Heute sind es die selten bunten Steine, die Strandläufer begeistern, sowie drei gute Tavernen und der Blick auf das vorgelagerte Inselchen Donoussa ... Vor der Abfahrt nach Apollonas ist im 700 m hoch gelegenen Bergdorf Koronis die Kafetaverna direkt an der Straße eine hervorragende Station für einheimische Käse, Bratwurst und Wein! Heute findet man manchen guten Landwein, doch in der Antike galt der Wein von Naxos als Wein der Weine. Der Dionysoskult war hier nicht ohne Grund lebendig. Der Gott war hier geboren, die Insel war sein Eigentum, er hat sie von Poseidon erkämpft. Die antiken Münzen zeigten seine Symbole: Trinkbecher (Kantharos), Mischgefäß (Krater) und Traube.
Kunstexport in alle Welt
Der Reichtum und die zentrale politische Position von Naxos insbesondere im 6. Jh. v. Chr., erworben in harten Auseinandersetzungen mit Paros und Milet um die Vorherrschaft in der Ägäis, lassen sich an den großartigen marmornen Erzeugnissen seiner Bildhauerschule ablesen, die den beiden bedeutendsten griechischen Apollon-Heiligtümern geweiht wurden: Für Delphi die berühmte Sphinx auf hoher Säule, für Delos das „Haus der Naxier“ mit Säulenhallen und marmornem Dach, das neun Meter hohe Apollon-Standbild und wohl auch die Löwenallee. Kennzeichnend für den Stil ist außer der sonst nirgends in der archaischen Kunst erreichten Monumentalität die feine und zugleich herbe Linienführung. Noch in der Klassik beweisen Grabstelen am Schwarzen Meer die große Reichweite des naxischen Kunstexports.Auf Naxos – so berichtet der antike Reiseschriftsteller Pausanias – seien die marmornen Dachziegel erfunden worden, die besonders prunkvolle Bauten deckten. Neben dem unvollendeten Apollon-Tempel der heutigen Chora sind in jüngerer Zeit zwei weitere bedeutende Heiligtümer mit Marmortempeln aufgedeckt worden: eines der Demeter bei Sangri und das Heiligtum des höchste Verehrung genießenden Dionysos bei Yria, an einem Flusslauf bei der Chora. Die Baufunde griechischer und deutscher Archäologen (B. Lambrinoudakis und G. Gruben, München) ermöglichten bei Sangri eine fast komplette Rekonstruktion des Baus mit originalen Architekturteilen und in Yria die sehr exakten Nachweise von insgesamt vier einander folgenden Dionysos-Tempeln vom Anfang des 8. bis zum 6. Jh., wobei der letzte, große, einschließlich der Dachziegel, weitgehend aus Marmor bestand. Der Tempel von Sangri hat eine saalartige, fast quadratische Form, die ähnlich wie in Eleusis dem besonderen Mysterienkult um die „Erdmutter“ und ihre Tochter Persephone entsprach: Es ist selbstverständlich, dass das reiche Bauernland ein Heiligtum dieser beiden Göttinnen besaß, die den Menschen Ackerbau, Sesshaftigkeit und damit Kultur schenkten. Und heute dürfte der Anblick fast genauso sein wie damals: Der schneeweiße Marmortempel erhebt sich, umrahmt von einer schönen gärtnerischen Anlage, auf einem sanften Hügel mitten im Ackerland.Und Yria? Das Dionysosheiligtum wurde nach gründlicher Erforschung wieder zugeschüttet – eine Schaustellung lohnte sich nicht. Doch wenigstens weiß man jetzt um den Ort, wo vielleicht der Gott des Weines, der Sinnenfreude, des Theaters und Gesangs Hochzeit mit der von Theseus verlassenen kretischen Königstochter Ariadne feierte. Und schließlich bleibt in der Sternennacht die „Krone“, die „Corona Borealis“, die Dionysos als Hochzeitsgeschenk für Ariadne an den Himmel hängte.
Infos und Tips
per Schiff: Naxos wird von Piräus aus mehrmals täglich auf der Ostkykladenroute (Paros, Naxos, Ios, Santorin) angelaufen, außerdem Direktverbindungen mit den Inseln Andros, Amorgos, Ios, Kreta, Milos, Mykonos, Paros und Santorin.
Flüge: 2 x täglich von und nach Athen, Flughafen Naxos: Tel. 22850 23 292.
Touristenpolizei: 22850 22 100.
Informationszentrum Naxos, Chora: am Hafen, gegenüber der Fähranlegestelle, Tel.: 22850 24 358.
Im Hafen gibt es eine Versorgungsstation für Yachten.
Busstation Chora, am Hafen. Dort gibt es einen Fahrplan für die Insel, die Abfahrtszeiten ab Chora werden genau eingehalten, die Rückfahrtszeiten aus den Dörfern weniger. Notfalls kann man leicht aufs Taxi ausweichen, Preis unbedingt vor Fahrtantritt festlegen!
Rent-a-Car: (Vorbestellung möglich): 22850 22 136.
Bei verschlossenen Kirchen auf dem Land hilft oft Glockenläuten; kommt jemand mit dem Schlüssel, ist eine kleine Spende angemessen.
Ursula Spindler-Niros