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Tod eines Schülers durch Polizeiwaffe löst Gewalt aus Tagesthema

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Tod eines Schülers durch Polizeiwaffe löst Gewalt aus
Griechenland/Athen. Protestkundgebungen führen auch heute Schüler, Studenten und Lehrer in Athen und anderen Städten Griechenlands durch. Anlass ist der Tod des 16-Jährigen Schülers Alexandros-Andreas Grigoropoulos, der am Samstag im Athener Stadtviertel Exarchia durch einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten getötet worden war. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zahlreiche Universitäten und Technische Hochschulen des Landes besetzt. Zudem planen Schüler die Besetzung von Schulen.
en. Heute Morgen protestierten zahlreiche Schüler an den Athener Propyläen und vor verschiedenen Polizeistationen. Ein Streifenwagen der Polizei ging in Flammen auf.
Durch die Proteste waren heute mehrere Hauptverkehrsadern in Athen teilweise für den Verkehr gesperrt. Die Elekrobahn ISAP verkehrt nur bis zur Station „Eirini“, weil Schüler in der Station Neratziotissa eine Protestkundgebung durchführten.
Der Gewerkschaftsbund PAME hatte vor dem Innenministerium eine Protestkundgebung organisiert. Für 18 Uhr haben Gewerkschaften, Studenten und Schüler zu einer weiteren Protestkundgebung vor den Propyläen aufgerufen. Am Omonoia Platz wird die Generalsekretärin der kommunistischen Partei KKE eine Rede halten.
Am späten Samstagabend und am Sonntag hatten sich Autonome und Sicherheitskräfte als Reaktion auf den Tod des 16jährigen regelrechte Straßenschlachten in zahlreichen Städten Griechenlands geliefert. Hunderte von Demonstranten verschanzten sich in Universitätsgebäuden, in denen die Polizei laut Statut nicht einschreiten darf. Teilweise vermummt, nutzten sie diese als Basislager für verschiedene Aktionen. Im Laufe der Proteste wurden Autos, Schaufenster und Müllbehälter demoliert oder in Brand gesetzt. Zu den schlimmsten Ausschreitungen kam es in Athen und Thessaloniki. Insgesamt wurden 24 Menschen verletzt.
Begonnen hatten die Ereignisse am Samstagabend im Athener Stadtteil Exarchia. Dort hatte eine Kugel aus der Handfeuerwaffe eines „Spezialwächters" (definiert als eine Art Hilfstruppe der Polizei, die u.a. zur Bewachung von Gebäuden und Politikern eingesetzt wird) einen 16-jährigen Jungen in den Brustkorb getroffen. Der Jugendliche starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Beamte, der den Schuss abgab, war mit einem Kollegen im Streifenwagen unterwegs. Sie sagten aus, dass das Opfer zu einer Gruppe von rund 30 Autonomen gehörte, die sie mit Steinen und Flaschen attackiert hätten. Augenzeugen zufolge soll der Polizist ohne ersichtlichen Grund aus relativ großer Entfernung in die Menge gefeuert haben. Der Leiter der Polizeistation von Exarchia und die beiden Beamten wurden suspendiert. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Täter vorsätzlichen Mord vor.
Innenminister Prokopis Pavlopoulos und Innenstaatssekretär Panagiotis Chinofotis, der für die öffentliche Ordnung zuständig ist, reichten ihren Rücktritt ein. Premierminister Kostas Karamanlis lehnte die beiden Rücktrittsgesuche jedoch ab. Der Regierungschef versprach die Aufklärung des Zwischenfalls. Wer dafür verantwortlich sei, dem werde „keinen Pardon" gegeben, sagte der Premier. Der Zwischenfall habe dem Rechtsstaat eine „Wunde zugefügt" sagte Staatspräsident Karolos Papoulias in einem Telegramm an die Eltern des getöteten Jugendlichen.
Exarchia gilt als das Herz der autonomen Szene von Athen. An Wochenenden kommt es dort häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei.
Den griechischen Polizeikräften, und insbesondere den „Spezialwächtern", wurden wiederholt mangelhafte Ausbildung und häufige Verletzung von Menschenrechten und die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Verfahren vorgeworfen. Immer wieder war es seitens der Polizei zu einer unverhältnismäßigen Gewaltanwendung gegen Demonstranten gekommen.
Unmittelbar nach dem Tod des 16jährigen Jugendlichen brachten die führenden Politiker Griechenlands ihr tiefstes Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck und übermittelten der Familie ihr Mitgefühl und Beileid. Staatspräsident Karolos Papoulias sprach von einer „Verletzung in der Funktion des Rechtsstaates“. Er hoffe, dass dies das letzte Opfer gewesen sei. Premier Kostas Karamanlis stellte fest, dass er wie alle Griechen „tiefe Trauer“ empfinde. Der Staat werde alles unternehmen, „damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholen kann“. Scharf verurteilt wurde der Vorfall auch von Parlamentspräsident Dimitris Sioufas. Dennoch müsse die Gesellschaft Vernunft zeigen, und dürfe sich nicht zu unkontrollierten Reaktionen hinreißen lassen. Sioufas schloss die dringende Bitte an alle Bürger an, die Gesetze zu achten.
Justizminister Sotiris Hatzigakis versicherte, dass man den Tod des Jugendlichen vollständig aufklären und für Gerechtigkeit sorgen werde. Bisher sei noch unklar, ob der tödliche Schuss gezielt abgegeben wurde, oder ob es sich um einen tragischen Unfall handle. Die beteiligten Beamten seien aber vom Dienst suspendiert worden und die Staatsanwaltschaft würde bereits ermitteln.
Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei PASOK, Jorgos Papandreou, sprach davon, dass der Tod des Jugendlichen eindeutig auf das Vorgehen der Polizei im Athener Stadtteil  Exarchia zurückzuführen sei. Der Oppositionsführer kritisierte „Willkür und zunehmende Barbarei“ bei der Vorgehensweise der Polizisten. Sowohl die politische als auch die interne Führung der Polizei sei in hohem Maße für die Vorgänge verantwortlich zu machen.
Die kommunistische Partei KKE schloss sich dieser Kritik in weiten Teilen an. Gleichzeitig verurteilte die Partei die Welle der Gewalt in ganz Griechenland. Blinde Brandstiftung sei keine Antwort auf die staatliche Selbstherrschaft.
Der Fraktionsvorsitzende des linken Wahlbündnisses SYRIZA, Alekos Alavanos, stellte fest, dass es im Griechenland der Nea Dimokratia „ein Verbrechen“ sei, jung zu sein. Die Jugend werde nicht nur mit Kugeln getötet, sondern auch durch Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, durch das Eindringen des Profits in die Bildung, durch das Fehlen von Hoffnung und Perspektive. Deshalb, so die Schlussfolgerung des Linkspolitikers, könne die Nea Dimokratia „nicht länger Regierung des Landes sein“.
Im Zuge der Auseinandersetzungen wurden bis zum Sonntagabend von der Feuerwehr zahlreiche gemeldet: In Athen wurden Brände an 24 Bankfilialen, 35 Geschäften, 22 PKWs, 12 Wohnhäusern, sieben Buswartehäuschen sowie in einem Parteibüro der Nea Dimokratia und an mindestens 63 Müllcontainern registriert.
In Patras gingen ein Streifenwagen der Polizei sowie vier private PKW in Flammen auf. Außerdem brannte es auf dem Parkplatz der Polizeidirektion.
In Thessaloniki waren neun Banken, sieben PKW, ein Büro des Ministeriums für Makedonien und Thrakien und weitere Gebäude betroffen. Es brannten mindestens 40 Müllcontainer.
In Heraklion auf Kreta wurden zwei Bankfilialen beschädigt. In Chania, ebenfalls auf Kreta, ging ein Fahrzeug der Nomarchie in Flammen auf. Weitere Schäden wurden aus Kavala in Nordgriechenland und Elevsina bei Piräus gemeldet.
Der Tod des 16-Jährigen erreicht auch Deutschland. Das griechische Konsulat in Berlin war heute Morgen von rund 15 Demonstranten besetzt worden. Der Protest richte sich gegen die griechische Regierung, die für den Tod des Jugendlichen verantwortlich sei, sagte eine Aktivistin gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Als Zeichen der Trauer um den am Samstag getöteten Jugendlichen wurden in Athen alle geplanten Weihnachtsfeierlichkeiten abgesagt. Athens Bürgermeister Nikitas Kalamanis sowie der Gemeinderat drückten ihr Beileid für die Familie des 16-Jährigen aus. Ursprünglich sollten am Sonntagabend feierlich die Lichter des Weihnachtsbaumes am Syntagmaplatz entzündet werden. (Griechenland Zeitung / hp/ls/eh)
 
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