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Ein Bayer als König der Griechen: Weißblaue Geschichte im Schatten der Akropolis Tagesthema

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Ein Bayer als König der Griechen: Weißblaue Geschichte im Schatten der Akropolis

Am 25. Januar 1833, ankerte ein Schiff im Hafen der kleinen griechischen Hauptstadt Nafplion auf der Peloponnes. Von Bord ging der künftige König der Hellenen.

„Ach Griechenland, mein liebes Griechenland!“ Das würde heute wohl kein deutscher Politiker mehr so sehnsuchtsvoll sagen wie seiner Zeit Otto Friedrich Ludwig. Er lag zu diesem Zeitpunkt auf dem Sterbebett. Sein Blick ging zum Fenster der fürstbischöflichen Residenz in Bamberg. Doch die letzten Gedanken weilten 2.000 Kilometer weiter südlich. Vor nunmehr 180 Jahren hatte er sich von Bayern auf den Weg gemacht, König Griechenlands zu werden. In der Rückschau ein Himmelfahrtskommando, das nicht gut gehen konnte.

Als das Abenteuer begann, war Otto gerade einmal 17 Jahre jung und zweiter Sohn des bayerischen Königs Ludwig. In guter alter Familientradition sollte Otto als Zweitgeborener eine geistliche Laufbahn einschlagen. Doch dann brach im Südosten Europas der griechische Unabhängigkeitskampf gegen das Osmanische Reich aus – und erhitzte die Gemüter Europas. Die Zeitungen berichteten enthusiastisch vom Aufstand. „Wir sind alle Griechen“, war in großen Lettern zu lesen. Getragen wurde diese Begeisterung von den so genannten Philhellenen. Sie erkannten im antiken Griechenland die Wiege Europas und in den aufständischen Griechen die direkten Nachfahren der Hellenen des Altertums. Ottos Vater zählte zu den begeisterten Philhellenen. Was er schon alleine darin ausdrückte, dass er die Hauptstadt München architektonisch mit klassizistischen Bauten bestückte und so ein „Isar-Athen“ schuf. Ferner ließ er den Landesnamen „Baiern“ künftig mit einem griechischen „y“ schreiben.

Bayern und die Großmächte

Die Hingabe, mit der Bayerns König seinen griechischen Traum träumte, war den drei Großmächten Russland, Großbritannien und Frankreich aufgefallen. Sie hatten den aufständischen Griechen beigestanden und kurzerhand eine osmanisch-ägyptische Flotte vor der Westküste der Peloponnes versenkt. Mit dieser Demonstration der Stärke erreichten sie die Durchsetzung der Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich. Doch sie konnten sich zunächst nicht einigen, wer diesem neuen Staat vorstehen sollte. Klar war nur: Es sollte kein Grieche sein. Aber auch kein Kandidat, der von nur einer Schutzmacht favorisiert wurde. Da waren Russland, Großbritannien und Frankreich doch wieder zu sehr Konkurrenten bei der Aufteilung der Welt in Interessenssphären. München hatte keine Großmachtsambitionen und pflegte gleichermaßen gute diplomatische Beziehungen zu London, Sankt Petersburg und Paris. Zudem ließ Ludwig Interesse an einem Engagement in Griechenland durchblicken. So fiel die Wahl tatsächlich auf die Familie Wittelsbach. Das bedeutete, dass die Karriereplanung Ottos von heute auf morgen über Bord geworfen und der junge Mann in ein britisches Kriegsschiff gesetzt wurde. Es brachte ihn von Triest in das Land der Hellenen. Nordwestlich von Korfu passierte die Fregatte „Madagascar“ eine erste griechisch bewohnte Insel. Damals ahnte Otto nicht, dass sie später einmal die griechische Form seines Namens, Othoni, tragen würde.

König eines Armenhauses

Die Hellenen ahnten wiederum nicht, wer das war, der da von Bord ging, als das Schiff am 25. Januar 1833 die kleine griechische Hauptstadt Nafplion auf der Peloponnes erreichte. Für sie war Otto ein Exot. Von einem Königreich Bayern hatten die wenigsten gehört. Und auch Otto hatte nur eine ungefähre Vorstellung von jenem Land, dem er fortan vorstehen sollte. Es zählte gerade einmal 800.000 Einwohner und war beinahe ausschließlich von der Landwirtschaft geprägt. Selbst das altehrwürdige Athen besaß den Charakter eines staubigen Provinzstädtchens. Armut und Analphabetismus prägten das Leben vieler Menschen. Ihnen standen wenige Großgrundbesitzer mit ausgedehnten Ländereien gegenüber.
Ottos politisches Ziel war es zunächst, den Aufbau eines funktionsfähigen Staatswesens nach bayerischem Vorbild voranzutreiben. Da er noch nicht volljährig war, erhielt er dabei die Unterstützung eines bayerischen Regentschaftsrates, der sich aus Finanz- und Verwaltungsexperten zusammensetzte. Finanziell war der Spielraum begrenzt. Nur zögerlich gaben die Großmächte einen ersten zugesicherten Kredit frei. Gleichzeitig musste Geld in die so gut wie nicht vorhandene Infrastruktur gesteckt, eine Armee bestehend aus 3.500 bayerischen Soldaten unterhalten und Entschädigungszahlungen für die Unabhängigkeit an Konstantinopel gezahlt werden. Schnell häuften sich Schulden an. Davon unbeeindruckt förderte der Staat Prestigeprojekte. Athen wurde zur neuen Hauptstadt erklärt und erhielt repräsentative Neubauten. Otto residierte fortan standesgemäß in einem Schloss, in dem heute das griechische Parlament tagt.

SL T26 small 3Abbildung: Bayerisches Erbe in Athen: Das frühere Schloss am Syntagma-Platz (Archiv, GZ-Bibliothek)

Innenpolitische Krise

Otto und seine aus Oldenburg stammende Frau Amalie wurden in den ersten Jahren vielfach mit einer freundlichen Neugier bedacht. Beide reisten häufig durchs Land und lernten fleißig die griechische Sprache. Allerdings weigerten sie sich, den griechisch-orthodoxen Glauben anzunehmen. Ein katholischer König stand somit einer griechisch-orthodoxen Bevölkerung vor, deren Kirchenvertreter den Papst von Rom wiederholt als Satan bezeichneten. Und da Religion damals einen Stellenwert besaß, den heute eine Rating-Agentur besitzt, war das Vertrauen in den König allmählich dahin.
Griechische Intellektuelle störte wiederum, dass sich Otto als König von Gottes Gnaden verstand. Sie strebten entgegen dieses absolutistischen Herrschaftsanspruchs eine konstitutionelle Monarchie an. Tatsächlich besaßen die griechischen Einwohner kaum politische Mitsprache. Der König war ein Bayer, der Ministerpräsident ebenso, und die Kabinettsmitglieder kamen ebenfalls von jenseits der Alpen. Man hatte nicht blutige Aufstände gegen die Osmanen vom Zaun gebrochen, um fortan von Bayern mit kolonialem Habitus regiert zu werden. Es brodelte im Land. Als 1843 vertragsbedingt bayerische Militärs Griechenland verließen, stand Otto ohne Hausmacht da. Prompt kam es zum Volksaufstand. In dessen Folge musste der König eine Verfassung akzeptieren. Als sichtbares Zeichen für seinen Machtverlust erhielt der Platz vor seiner Athener Residenz den Namen Verfassungsplatz. Diesen Namen trägt er noch heute. Parteien wurden zugelassen. Sie orientierten sich an den drei Schutzmächten Griechenlands und nannten sich folglich Russische Partei, Britische Partei und Französische Partei.

foto117 small 4Abbildung: König Otto in griechischer Tracht

Außenpolitisches Desaster

Die Russische Partei verfolgte das außenpolitische Ziel, mit Hilfe Sankt Petersburgs das Osmanische Reich territorial zu beerben. Konstantinopel verwaltete nach wie vor bedeutende griechische Siedlungszentren und selbst die osmanische Hauptstadt besaß eine große griechische Gemeinde. Als Russland das Osmanische Reich im Frühjahr 1853 militärisch angriff, schienen die Chancen für die Realisierung dieses Ziels gekommen. Zumal auch Otto einen pro-russischen Kurs einschlug. Allerdings waren Großbritannien und Frankreich gegen die zu erwartende russische Hegemonie im östlichen Mittelmeerraum und griffen auf der Seite Konstantinopels in den Krieg ein. Der Krimkrieg begann. Eine britisch-französische Flotte besetzte kurzerhand auch den wichtigen griechischen Hafen Piräus. Otto wurde damit seine außenpolitische Machtlosigkeit demonstriert. Hatte er bereits innenpolitisch Einfluss eingebüßt, so waren ihm nun auch außenpolitisch seine Grenzen aufgezeigt worden.
London sah in Griechenland eine Art Protektorat. Es war zwar offiziell unabhängig, doch Großbritannien tat alles, damit Griechenland eine pro-britische Politik fuhr. Und da Otto auf die russische Karte gesetzt hatte, war er nach britischem Verständnis nicht mehr zuverlässig. Fortan wurden Maßnahmen ergriffen, ihn politisch auszuschalten. London ging soweit, die britisch verwalteten Ionischen Inseln an Griechenland abtreten zu wollen, sollte in Athen eine englandfreundliche Dynastie den Königsthron besteigen. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden die griechischen Militärs. Am 10. Oktober 1862 stellten sich alle großen Garnisonen in einem unblutigen Putsch gegen den König. Otto befand sich gerade auf einer Schiffsfahrt durch die Ägäis. Ihm wurde keine Zeit eingeräumt, offiziell abzudanken. Stattdessen verließ er bereits zwei Tage später das Land. Und zwar so, wie er gekommen war, an Bord eines britischen Kriegsschiffs.

foto119 small 2Abbildung: 1862 werden Otto und Amalie ins Exil geschickt (Otto-König-von-Griechenland-Museum, Ottobrunn)

Königspaar im Exil

Die Bayern, die in Griechenland blieben, gingen sehr schnell in der griechischen Mehrheitsgesellschaft auf. Einige machten Karriere: Die Familie Fuchs gründete die größte griechische Brauerei und die Familie Clauss ein noch heute angesehenes Weingut. Ein Herr Streit schaffte es sogar zum griechischen Außenminister.
Otto wiederum kehrte ernüchtert zurück nach Bayern. Ihn begleiteten neben seiner Frau Amalie noch 50 Angehörige des griechischen Hofstaates. Exil fanden sie schließlich in Bamberg. Doch so richtig ankommen wollten oder konnten sie in Oberfranken nicht. Die Bewohner sahen sie in griechischen Trachten umherlaufen. Otto und Amalie beschlossen zudem, täglich zwei Stunden ausschließlich Griechisch miteinander zu reden. Griechenland faszinierte beide auch noch in der Ferne. Folgerichtig ließ sich Otto in einer griechischen Tracht beisetzen. Sein Sarkophag fand einen Platz in der Gruft der Münchner Theatinerkirche und damit zumindest in Isar-Athen.

Alexander Jossifidis

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